Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita
Autoren: Claudio M. Mancini
Vom Netzwerk:
schön! Zwischen Rosannas schmaler, gerade gewachsenen Nase und den Winkeln ihres vollen Mundes hatten sich winzige Lachfalten gebildet, und sie hatte die starken Brauen über den samtigen dunkelbraunen Augen nach oben gezogen, als sei sie verwundert über sein plötzliches Pathos. Cardone wurde den Reflex nicht los, sich andauernd entschuldigen oder verteidigen zu müssen. Er konnte nur schwer seine Ironie unterdrücken, was ihn insgeheim ärgerte.
    »Wissen Sie, für mich und achtundneunzig Prozent aller Schriftsteller gelten andere Gesetze. Kaum hat man für sich entschieden, einen schöpferischen Beruf zu ergreifen und Autor zu werden, wird man von der Familie verstoßen. Schreiben ist eine brotlose Kunst, und es ist beinahe zwangsläufig, dass man als Künstler verarmt, sich vorwiegend von Beeren, Wurzeln und Baumrinde ernährt und sich nur sonntags einen aufgewärmten Cheeseburger leistet. Oder einen Cappuccino, wenn man einer Frau wie Ihnen begegnet.«
    »Schmeichler!«, flüsterte Rosanna und strahlte. »Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie am Hungertuch nagen.«
    Erst jetzt bemerkte Cardone, dass sie einen leichten Überbiss hatte und bei Worten mit einem scharfen »S« ein wenig lispelte, was ihren Charme noch unterstrich. »Na ja, bei mir ist die Armut noch nicht im fortgeschrittenen Stadium, aber wenn ich an die Lyriker denke …« Er zog ein bedenkliches Gesicht. »Mein Freund Carlo ist das beste Beispiel.«
    »Was ist mit den Lyrikern?«
    »Fürchterlich, glauben Sie mir! Hier gilt die Regel: Je blumiger die Verse, desto kalorienärmer das Essen. Ein Grund mehr, weshalb wir uns beide zu einer Notgemeinschaft zusammengetan haben.«
    Rosanna lachte laut auf. »Mit anderen Worten, Sie sind hungrig, und ich soll die beiden Künstler zum Essen einladen.« Ihr Blick wanderte über sein dunkelblaues, verwaschenes Hemd zu den abgestoßenen Manschetten, glitt musternd über die aus der Mode gekommene Hose nach unten und blieb an den ausgetretenen Slippern hängen. »Ein Paar neue Schuhe bräuchten Sie auch …«, stellte sie lapidar fest.
    Cardone wurde sich bewusst, dass seine Ironie auf Rosanna wie unterschwellige Bettelei gewirkt haben musste. »So war das nicht gemeint!«, erwiderte er knapp.
    »Und ich kaufe Ihnen keine Schuhe«, erwiderte sie belustigt, während sie provozierend seine schiefgelaufenen Absätze betrachtete. Cardone zog seine Beine unter den Stuhl. Nur mühsam gelang es ihm, seine Verlegenheit zu verbergen. Niemals zuvor hatte ihn eine Frau derart unverblümt fühlen lassen, auf welcher Sprosse der sozialen Leiter er in ihren Augen stand. Auch wenn er seinen ganzen Stolz daransetzte, humorvoll zu erscheinen, im tiefsten Inneren hatte ihn die verletzende Bemerkung getroffen.
    »Noch kann ich mir meine Schuhe selber kaufen«, bemerkte er mit gespielter Gelassenheit. »Ich glaube, Sie verstehen mich nicht. Meine Prioritäten unterscheiden sich von denen der meisten Leute. Weder interessieren mich die neueste Mode, dicke Autos oder Sommersitze an der Riviera, noch jage ich dem Geld hinterher. Schreiben ist mein Leben! Es verleiht mir die größte Freiheit, die ich mir vorstellen kann. Gibt es etwas Schöneres, als Menschen in fremde Welten zu entführen, sie in den Bann meiner Erzählungen zu ziehen? Sehen Sie, Rosanna …« Er beugte sich ihr ein wenig entgegen und fuhr mit leidenschaftlicher Stimme fort: »Mit meiner Phantasie kann ich Berge versetzen, Leser glücklich machen, indem ich ihnen ein paar wundervolle Stunden beschere und sie vom frustrierenden Alltag ablenke. Davon bin ich überzeugt. Oder hat Ihnen mein Vortrag heute Abend nicht gefallen?«
    »Ich war von Ihren Geschichten hingerissen«, antwortete sie und bedachte ihn mit einem bewundernden Blick.
    Ein Zitat des griechischen Sophisten Lukianos kam ihm in den Sinn, der einst sagte, Amor sei ein gewalttätiger Tyrann. Das konnte er nur bestätigen, wenn er in Rosannas Augen sah. »Sie müssen das verstehen«, knüpfte er an. »Wenn ich bemerke, dass ich mit meinen Büchern den Menschen etwas gebe, dann macht mich das glücklich. Welchen Stellenwert, glauben Sie, haben da ein paar neue Schuhe oder ein Designeranzug? Ich weiß, dass ich mit meinen alten Sachen keinen Eindruck mache. Ich kann es nicht ändern. Nicht nur der gesunde Menschenverstand ist ein großes Hindernis für Träumer wie mich. Für manche Menschen stecke ich in den falschen Kleidern. Aber bin ich deshalb für die Gesellschaft weniger wichtig als ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher