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Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

Titel: Melvin, mein Hund und die russischen Gurken
Autoren: Marlene Roeder
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saufen und Babys kriegen. Da hätte Valeria am liebsten geschrien, dass sie Wodka nur wegen der Gurken erträglich findet. Und dass sie auch nicht zu den Mädchen gehört, die bei Dr. Sommer über ihre Probleme jammern.
    Valeria ist gut in der Schule. Sie hat seit zwei Jahren einen festen Freund. Sie ist verantwortungsbewusst, das sagt sogar ihre Mutter.
    Das hier ist ein Irrtum, der sich gleich aufklären wird.
    Sie öffnet die rosa Schachtel und reißt die Plastikverpackung auf, die sich darin befindet. Valeria mustert den Stab, der zum Vorschein kommt. Er hat eine Kappe, die man abziehen muss wie bei einem Schulfüller. Morgen schreiben sie einen Vokabeltest, für den Valeria noch nicht gelernt hat. Doch das ist jetzt scheißegal. Nur dieser Test hier hat eine Bedeutung.
    Sie überfliegt die Gebrauchsanweisung: Wenn nur ein Streifen im Kontrollfenster erscheint – nicht schwanger. Wenn zwei Streifen erscheinen – schwanger.
    Also los. Sie hält den Stab unter sich und pinkelt. Waren das schon zehn Sekunden? Sie hätte mehr trinken sollen, sie hätte …
    Auf der Packung steht, dass man das Ergebnis nach einer Minute ablesen kann.
    Valeria verspricht Gott – oder wer auch immer für die Ergebnisse von Schwangerschaftstests zuständig ist –, dass ihr so ein Fehler nie wieder passieren wird. Nie wieder wird sie vergessen, die Pille zu nehmen! In diesem Moment kann sie sich sowieso nicht vorstellen, dass sie je wieder Lust auf Sex haben wird. Valeria starrt auf das Teststäbchen und verspricht, dass sie immer die Wäsche aufhängen und im Haushalt helfen wird, ohne dass ihre Mutter vorher meckern muss. Sollte ihre kleine Schwester noch einmal mit Valerias Schminke ihre Zimmerwand bemalen, wird Valeria sie nicht anbrüllen. Überhaupt wird sie ein besserer Mensch werden, wenn nur, bitte …
    Die Sekunden dehnen sich, zähe Fäden eines Spinnennetzes, in denen Valeria zappelt. Sie will es nicht wissen. Sie will es wissen, unbedingt.
    Wenn zwei Streifen erscheinen …
    a) … ist der Test kaputt. Immerhin besteht eine Fehlerquote von 0,1 Prozent, das steht sogar auf der Packung. Am besten, du rennst gleich in die Drogerie und kaufst einen neuen Test. Am besten, du kaufst gleich mehrere, bis endlich einer negativ ist – und du nicht mehr schwanger bist.
    b) … freust du dich riesig, weil du Mama wirst.
    c) … ist dein Leben, so wie du es bisher kanntest, vorbei.
    Die Waschmaschine schaltet in den Schleudergang.
    Dein erster Gedanke ist …
    a) Wie soll ich das meinen Eltern sagen?
    b) Wie soll ich das meinem Freund sagen?
    c) Scheiße, Scheiße, SCHEISSE!!!
    Das Dröhnen der Waschmaschine ist jetzt so laut, dass es Valerias Gedanken fast übertönt. Sie spürt den Boden vibrieren. Valeria schaut auf das kleine Bullauge der Waschmaschine und sieht einen eingesperrten Wirbelsturm: Ein Arbeitskittel ihrer Mutter fliegt vorbei, Valerias BH, die Socken ihrer kleinen Schwester.
    Was wirst du tun?
    a) Abtreiben.
    b) Das Kind zur Adoption freigeben.
    c) Das Kind behalten.

EIN STRAUSS SCHNECKEN
    »Bitte mach ein Foto von mir!« Wie oft habe ich diesen Satz von dir gehört, früher. Du wusstest, dass ich meine Kamera stets bei mir trug. Und ich habe dich immer brav geknipst, deine treue Chronistin.
    Klick.
    Ein ganzes Album habe ich noch, mit Fotos von dir, die im Laufe der Jahre zusammengekommen sind. Manchmal hast du in ihnen geblättert, in all deinen Abbildern. Mit unzufrieden gerunzelter Stirn, fast als suchtest du etwas.
    Damals habe ich gedacht, dein Fototick sei reine Eitelkeit. Aber inzwischen glaube ich, du wolltest etwas von dir sichtbar machen. Es festhalten, dich festhalten.
    Was für eine Ironie, dass nach all deinen Anstrengungen ich diejenige bin, die noch hier ist.
    Während du nur noch Stein bist.
    Ich setze mich auf die Bank gegenüber von dem, was von dir geblieben ist. Buchstaben und Zahlen auf schwarzem Marmor. Seit der Beerdigung war ich nicht mehr hier. Ich erinnere mich an die vielen weinenden Menschen, die Blumen auf deinen Sarg warfen. Ich weinte nicht. Am liebsten hätte ich auf dein Grab gespuckt.
    Ich konnte dir nicht verzeihen, glaube ich. Oder mir.
    Es war mein erster Tod.
    Danach wollte ich dich eigentlich nie wiedersehen. Ich habe jetzt ein neues Leben, in einer anderen Stadt, weit weg von dir. Das dachte ich zumindest. Aber dann habe ich vor zwei Wochen beim Aufräumen das Fotoalbum wiedergefunden. Ich habe es dir mitgebracht. Es steckt in meiner Handtasche, zusammen mit dem
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