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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen
Autoren: Julia Kröhn
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man es ähnlich stehlen wie der Dieb die frischen roten Äpfel vom Markt.
    »Ich mache mir große Sorgen um den Grafen«, hörte Alruna ihre Mutter eben sagen.
    »Er ist jung, er kommt darüber hinweg.« Die Worte ihres Vaters sollten wohl Trost spenden, aber seine Stimme klang so verzagt wie die seiner Frau.
    Beide dienten Richard, dem jungen Grafen der Normandie, und beide waren sie bestürzt, dass er einen so großen Verlust hatte hinnehmen müssen. Noch ergebener als ihre Eltern war Alruna dem Grafen, für sie war es nahezu unerträglich, Richard so leiden zu sehen.
    »Denkst du, er hat sie geliebt?«, fragte Arvid, ihr Vater.
    Alruna konnte ihre Mutter nicht sehen, war sich dennoch sicher, dass Mathilda die Schultern zuckte.
    »Wer kann schon in das Herz eines Menschen sehen? Gewiss ist nur: Solange sie lebte, konnte er sich des Schutzes und der Freundschaft ihres Bruders sicher sein. Doch nun …«
    Sie sprachen von Emma, Tochter Hugos des Großen und Schwester von Hugo II., Letzterer der mächtige Herrscher von Franzien, dem Nachbarland der Normandie. Seit Alruna denken konnte, war Richard mit Emma verlobt gewesen, und als die Braut alt genug geworden war, hatte Hugo Richard nach Paris eingeladen, wo erst eine feierliche Messe gefeiert worden war und sich später das Paar zum ersten Mal gegenübergestanden hatte. Alruna konnte jenes denkwürdige Treffen nicht bezeugen, hatte jedoch erfahren, dass Richard von Emmas Liebreiz und Schönheit verzückt gewesen war.
    Sie konnte nicht so recht glauben, dass dies der Wahrheit entsprach. Als Emma nach der Hochzeit nach Rouen kam, befand sie sie für blass, nichtssagend und unwürdig, die Frau an Richards Seite zu sein. Doch auch wenn sie sie nicht sonderlich mochte und sie insgeheim beneidete – den plötzlichen Tod, der Emma wenige Wochen zuvor ereilt hatte, hatte sie ihr nicht gewünscht, und sei es nur, um Richard möglichen Kummer zu ersparen.
    »Was denkst du, wird Hugo nun tun?«, fragte Mathilda.
    Arvid schnaubte. »Hugo ist ein Wendehals wie sein Vater, das wissen wir alle. Er hat schon so viele Schwüre geleistet, die er hinterher leichtherzig gebrochen hat. Aber um Hugo mache ich mir die geringsten Sorgen, sondern …«
    Er brach ab, begann auf und ab zu gehen. »Richard darf sich nicht in seiner Trauer verkriechen!«, rief er schließlich beunruhigt. »Gerade jetzt nicht!«
    Alruna löste ihr Ohr von der Tür, atmete tief durch und trat ein.
    Der Schmerz musste nur allzu deutlich in ihren Zügen stehen, denn ihre Mutter musterte sie nur flüchtig, ehe sie grußlos sagte: »Du vermisst sie gewiss auch unendlich!«
    Alruna packte das schlechte Gewissen. Mathilda war eine kluge Frau, die den meisten Menschen ins Herz sehen konnte, aber das, was ihre Tochter umtrieb, deutete sie häufig falsch. Sie glaubte tatsächlich, dass sie Emma von ganzem Herzen gemocht hatte, war sie doch deren Zofe gewesen! In Wahrheit hatte sie diesen Dienst nur widerstrebend geleistet, sich ihm schlichtweg nicht entziehen können, da jeder in ihrer Familie eine Aufgabe am gräflichen Hof innehatte: Ihr Vater Arvid war einst Lehrer des jungen Grafen gewesen und mittlerweile einer seiner engsten Berater, und ihre Mutter war neben dem Mansionarius für die Hofhaltung verantwortlich.
    Alruna schluckte das schlechte Gewissen hinunter. »Ich würde so gern etwas tun …«, murmelte sie.
    Der Vater strich ihr tröstend über das Haar. »Ich fürchte, du kannst nichts tun, ich selbst muss ihm ins Gewissen reden, ich muss ihm sagen, dass …«
    »Es ist wegen Thibaud von Chartres, nicht wahr?«, unterbrach Alruna ihn hastig.
    Der Vater blickte sie verwundert an. »Woher kennst du denn diesen Namen?«
    Alruna unterdrückte ein Seufzen. Der Vater hatte immer noch nicht begriffen, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, das man mit Rasseln aus Knochenstücken erfreuen konnte, sondern sechzehn Jahre alt und somit erwachsen. Ein Gutes hatte es gehabt, an Emmas Seite zu leben – Alruna wusste nun alles über die Vergangenheit der Normandie und die hohe Politik. Und sie kannte die Namen der vielen Feinde, die Richards Macht bedrohten, und der vielen Neider im fränkischen Reich, die den Grafen der Normandie als Piraten bezeichneten, weil er ein Nachfahre der grausamen, heidnischen Nordmänner war. Einer war besagter Thibaud von Chartres, genannt le Tricheur, Graf von Blois und Bruder vom Grafen der Champagne.
    Ja, Alruna hatte sich all diese Titel gemerkt und auch, dass Thibaud immer wieder
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