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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman
Autoren: C.H.Beck
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1. Kapitel
    Im Hafen herrschte reger Betrieb, fast wie in besseren Zeiten. Es lag ein geschäftiges Summen in der Luft, ein unbestimmtes Poltern, Quietschen, Rufe, Pfiffe, das aufgeregte Kläffen eines Hundes. Auf Kai 15 stand im Gedränge ein Mann mit einer Art Tropenhelm auf dem Kopf und zwei Schiffskoffern, die gerade ein Gepäckträger neben ihm abgestellt hatte. Unbeteiligt stand er in dem Hin und Her der Hafenarbeiter und Passagiere, der Lieferwagen und Handkarren, und achtete weder auf den Jungen, der ihm Erfrischungsgetränke, Fruchtbonbons, Kekse und Zigaretten in flachen blauen Schachteln aus seinem Bauchladen anbot, noch auf den Bettler, der ihm mit monotonem Murmeln die Mütze hinhielt.
    Der Mann blickte auf die «Sindaro», in der Innenseite seines Jacketts steckten ein Bündel Bargeld und ein beruhigender Vorrat an Travellerschecks. In einer Umhängetasche hatte er seinen Pass, die nötigen Impfbescheinigungen, einen Fahrschein für eine Innenkabine der 2. Klasse und die Ausreisegenehmigung des Gauleiters untergebracht. Die «Sindaro» würde heute Abend auslaufen, er würde an Bord sein und Europa auf unbestimmte Zeit verlassen.
    ***
    Den Zug nach Rotterdam hatte Bernhard Riederer ohne Abschiedsschmerz oder Ängste vor einer Fahrt ins Ungewisse, eher in einem Zustand heiterer Gelassenheit in Koblenz bestiegen. Ohne sich Rechenschaft über die Umstände seines Aufbruchs zugeben, hatte er das Gefühl, das Richtige zu tun. Auf der Strecke zwischen Bingen und Andernach stellte er sich ans Fenster, zählte die Schiffe und Burgen und gab den Bergen Namen: Javaspitz, Tigerfels, Dschungelwand. Das Ziel seiner Reise stellte er sich wie die handkolorierten Stiche vor, die die Handelsherren der Vereinigten Ostindischen Kompanie in der Blüte des niederländischen Kolonialreichs in Indonesien hatten anfertigen lassen.
    In Köln stieg ein Herr zu. Ganz in Schwarz gekleidet stand er in der Tür des Zugabteils, grüßte, und noch bevor er fragte: «Ist hier noch frei?» wusste Bernhard, dass er ihm seine Lebensgeschichte erzählen würde. Mit einem Seufzer zog der Mann seinen schweren Mantel aus, legte den Hut ins Gepäcknetz und stellte sich mit einer kurzen Verbeugung vor: «Gestatten, Wilhelm Roth. Reisen Sie auch in die Niederlande?» Bernhard fühlte sich gestört, er hätte lieber unbehelligt aus dem Fenster gesehen. Andererseits wollte er nicht unhöflich sein, nickte und sagte: «Riederer.»
    In Köln hatte er einmal auf einer der wenigen Exkursionen, an denen er während seines Studiums teilgenommen hatte, eine bedeutende völkerkundliche Sammlung besichtigt. An der dortigen Universität hatte sein Vater als erste Anstellung eine Professur für deutsche Sprache und Dichtung erhalten. Und hier hatte er Bernhards Mutter kennengelernt, Irmgard, die Tochter eines Kollegen der Philosophischen Fakultät. Sie heirateten zu Semesterende in einer der romanischen Kirchen der Stadt. Über seine Ehejahre sprach Egon von Riederer nicht. Nur eine Bemerkung hatte sich Bernhard eingeprägt: Sein Vater hielt die zurückhaltende, melancholische Art seiner Frau für einen Mangel an Intelligenz.
    Mit einem freundlichen, abweisenden Lächeln hörte sich Bernhard die Geschichte seines Gegenübers an. Der zugestiegene Fahrgast war Jude, stammte aus einer wohlhabenden Kölner Familie, hatte am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium mit einer Eins in Latein und Griechisch Abitur gemacht, zählte sich zum Bildungsbürgertum,hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland gegen die Franzosen gekämpft und nach 1918 freundschaftlichen Kontakt zu einigen alten Kameraden gehalten, nun wurde er in seinem Heimatland diskriminiert. Mit einem Großteil seines Vermögens hatte er sich freigekauft. Von Rotterdam wollte er nach New York, in Brooklyn wartete ein Vetter auf ihn.
    Noch auf deutschem Boden blieb der Zug auf freier Strecke stehen. Die Waggontüren wurden verriegelt. Der Grenzkontrolle – ein Schaffner, ein Soldat mit Pistolentasche und ein Dritter in schwarzer Uniform – zeigte der Mann seine Papiere mit den Worten: «Die sind in Ordnung!» Der Schaffner gab sie an den SS-Mann weiter, der sah sie flüchtig durch: «Sie kommen mit!» Der Soldat führte Wilhelm Roth ab, indem er ihm den Arm auf den Rücken drehte. In der Tür sah er sich um. Bernhard schüttelte den Blick ab und schaute unverwandt auf die flache, friedliche Landschaft. Der schwarze Hut blieb im Gepäcknetz liegen.
    ***
    An der Landungsbrücke hing ein Schild: «De passagiers worden
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