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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen
Autoren: Julia Kröhn
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dereinst ein schwieriges Erbe antreten zu müssen, war Raouls Kindheit viel leichter gewesen und sein Wesen darum viel fröhlicher – in der Trauer der letzten Wochen vielleicht sogar ein wenig zu fröhlich für Richard. Alruna war sich sicher, dass er sich von ihr, deren Ernsthaftigkeit er oft verspottet hatte, besser verstanden fühlte.
    Rasch waren die Pferde gesattelt und einer Gruppe von Kriegern der Befehl erteilt, mit etwas Abstand zu folgen. Richard ritt nie allein aus, sondern immer in Begleitung einer kleinen Einheit, bestehend aus jungen Männern, die am Hof lebten und zu Kriegern ausgebildet wurden.
    Anfangs fühlte Alruna sich von ihnen gestört, später, als sie die Straße verließen und auf unebenem Gelände weiterritten, galt ihr ganzes Augenmerk dem Trachten, sich auf dem Pferderücken zu halten, ohne dabei lächerlich zu wirken. Die Pferde der Krieger hatten Riemen mit Eisenbeschlägen an Brust und Unterbauch, ihres nur einen Sattel mit Steigbügeln, der bei jedem Schritt zu verrutschen drohte. Vielleicht war es aber gar nicht der Sattel, sondern sie, die alsbald auf dem Boden zu landen drohte.
    »Und du hast doch Angst«, neckte Richard sie. »Mir brauchst du nichts vorzumachen.«
    Sie verzichtete auf eine weitere Lüge. »Du mir auch nicht«, erwiderte sie ernst. »Ich weiß, warum du dich in deinem Turm verkriechst. Nicht wegen der Trauer um Emma nämlich, wie du alle Welt glauben machst. Du hast sie nicht geliebt – lediglich das Leben an ihrer Seite. Solange sie deine Frau war, konntest du dich halbwegs sicher fühlen vor deinen Feinden, galtest als Franke und frei von der Bürde, ein Nachfahre der wilden Nordmänner zu sein. Emma hat alle Welt das Erbe deines Blutes vergessen lassen. Doch nun scheint dein Trachten, einer der ihren zu sein, vergebens.«
    Die ersten Worte waren noch zögerlich über ihre Lippen gekommen, danach redete sie immer entschlossener auf ihn ein. Vielleicht ging sie zu weit, aber dieser gestohlene Moment war zu kostbar, ihm auch nur einen der Gedanken, der sie seit Tagen umtrieb, zu verschweigen. In seinem Blick stand Verwirrung, doch er senkte ihn nicht, und er versuchte auch nicht, sie zu unterbrechen.
    Erst nachdem sie geendet hatte, murmelte er: »Seit ich denken kann, bin ich von Feinden bedroht worden. Mein Vater ist ermordet worden, ich habe als Kind monatelang in Gefangenschaft gelebt. So oft hätte ich um ein Haar die Normandie verloren oder gar mein Leben.«
    Sie nickte. »König Ludwig, Hugo der Große, Kaiser Otto, Arnulf von Flandern …«, nannte sie die Namen derer, die ihn viele schlaflose Nächte gekostet haben mussten.
    Sie selbst konnte sich noch daran erinnern, als die Truppen des Kaisers die Normandie überfielen und Richard sie erst im letzten Augenblick überlisten konnte. Eigenhändig hatte er damals den Neffen des Kaisers enthauptet, was dessen Truppen dazu getrieben hatte, entsetzt in alle Himmelsrichtungen zu fliehen.
    Unmerklich glitt ihr Blick zu diesen Händen. Es waren schöne Hände, feingliedrig und doch voller Kraft. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie diese Hände töteten, wollte es auch gar nicht, wollte sich lieber ausmalen, wie diese Hände zärtlich über ihr Gesicht streichelten. Wie sehr sie sich danach verzehrte! Wie glühend rot sie allein bei dem Gedanken daran wurde!
    »Eben aber denkst du nicht an meine Feinde, oder?«, neckte er sie.
    Sie fühlte sich ertappt, blickte hastig von den Händen weg und studierte sein Gesicht. Obwohl es ihr vertraut war, war es immer wieder eine Freude, ihn zu mustern, sich jedes Detail einzuprägen, seine ebenmäßigen Züge, sein zu Zöpfen geflochtenes, schulterlanges Haar, seinen sorgfältig gestutzten Bart, seine blauen Augen.
    Er war so stattlich, so männlich, so herrschaftlich …
    »Trotz der vielen Feinde hast du dich immer als stark erwiesen«, rief sie eifrig. »Man nennt dich nicht ohne Grund Richard, den Furchtlosen. Du hast Emma verloren, aber gewiss nicht deine Tapferkeit.«
    Sein Lächeln schwand von den Lippen. »Und siehst du, vielleicht irrst du dich, vielleicht irrt sich alle Welt. Manchmal habe ich doch … Angst.«
    Er sprach das Wort aus, als würde er sich daran verbrennen.
    »Das ist doch nichts Schlimmes«, rief sie. »Du darfst dich nur nicht dazu bekennen! Es ist dein Geheimnis … deines … unseres …«
    »Du scheinst darin geübt, solche Geheimnisse zu hüten.«
    Wie leicht es plötzlich schien zu nicken! Wie leicht, ihm anzuvertrauen, was sie bis jetzt
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