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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung
Autoren: Gerhart Baum
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Qualitätssicherung. Oder zahlen wir inzwischen Gebühren für unsere intellektuelle Unterforderung? Die Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Systems sehen mit Bestürzung, wie seine Existenz durch Vernachlässigung des Kulturauftrags aufs Spiel gesetzt wird.
    Es vergeht keine Woche, in der Sie nicht mehrmals an kulturellen Ereignissen teilnehmen. Aber gibt es dennoch, wenn man bildende Kunst, wenn man Konzerte, wenn man Theater, wenn man Oper nimmt, etwas, wo Sie sagen, das ist mir doch das Liebste von allen oder hat alles einen ähnlich gleichen Stellenwert?
    Unterschiedlich. Häufig ist es das Theater. Ich schaue mir viele neue Inszenierungen an, in der Oper und im Schauspiel. Die zeitgenössische Musik spielt für mich eine große Rolle, die Literatur natürlich auch. Dabei ist die bildende Kunst etwas vernachlässigt worden. Aber im Grunde bin ich auf allen Feldern unterwegs.
    Verändert das oder beeinflusst diese kulturelle Teilhabe auch Ihr politisches Bewusstsein? Gibt sie Ihnen Anstöße? Denken Sie anders nach? Verändern Sie den Blick auf bestimmte Dinge?
    Ich habe die Erfahrungen gemacht, dass Künstler eine besondere Sensibilität haben für Entwicklungen in der Gesellschaft. Gerade was die Zukunft betrifft. Sie öffnen einem die Augen für Dinge, die man mit rationalem Verstand nicht so ohne Weiteres sieht. Sie sind Seismografen gesellschaftlicher Entwicklungen, die auch für mein Leben unverzichtbar sind.
    Bereuen Sie, dass Sie sich vielleicht selbst nicht aktiv durch Musik oder künstlerisch ausgedrückt haben?
    Ich habe mir immer gewünscht, Klavier spielen zu können. Bis heute kann ich keine Noten lesen, das hat mir niemand beigebracht. Alles geschuldet meiner Kindheit und Jugend in Kriegs- bzw. Nachkriegszeiten. Später habe ich es noch mit der Blockflöte versucht. Aber ich war nie talentiert für aktives Musizieren. Umso mehr freue ich mich, wenn meine Frau auf ihrer wunderbaren Bratsche spielt. Leider tut sie das viel zu selten.

»Ich wollte die Partei den anderen nicht überlassen und habe gekämpft - so gut es ging«
    Die Bilanz eines politischen Lebens
    Herr Baum, wenn man eine Bilanz eines so bewegten Lebens zieht, wie Sie es über Jahrzehnte geführt haben, stellt sich die Frage, was Sie am meisten bewegt und angetrieben hat.
    Angetrieben hat mich der Wille, am Aufbau der Bundesrepublik, genauer gesagt, am Aufbau einer freiheitlichen Gesellschaft mitzuwirken. Angetrieben hat mich auch, die Schatten der eher autoritären Adenauer-Zeit zu vertreiben, einer Gesellschaft, in der alte Nazis noch starken Einfluss hatten. Angetrieben hat mich der Wille, die FDP aus der einseitigen Koalitionsbindung mit der CDU/CSU zu befreien, das heißt, neue politische Perspektiven zu öffnen. Angetrieben hat mich der Wille, auf diesem Wege eine neue Ost- und Deutschlandpolitik mit herbeizuführen. Angetrieben hat mich die Einsicht, dass nur durch Absage an jegliche Form von Revanchismus ein neues Europa gebaut werden könnte - das heißt, durch Anerkennung der bestehenden Grenzen und hier vor allem der Oder-Neiße-Grenze zu Polen. Angetrieben hat mich der Anspruch, diese Gesellschaft vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung in allen Lebensbereichen zu reformieren, und die Überzeugung, dass eine liberale Partei dafür unverzichtbar ist. Angetrieben hat mich vor allem die Leidenschaft, für den sozialen Liberalismus des Freiburger Programmes zu kämpfen - bis heute. Angetrieben haben mich die Gestaltungsmöglichkeiten in den von mir wahrgenommenen Ämtern. Angetrieben hat mich der Wille, denen ein Verbündeter zu sein, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen sind. Angetrieben hat mich der Wunsch, denen zu helfen, die es schwer haben, ihre Rechte gegenüber Stärkeren in unserer Gesellschaft geltend zu machen. Angetrieben hat mich die Lust an politischen Auseinandersetzungen und an der Kommunikation, die Lust am Ringen um Ergebnisse. Angetrieben, mich einzumischen, fühle ich mich auch heute noch, obwohl ich ja seit vielen Jahren kein politisches Amt mehr habe. Bisweilen ist der Antrieb allerdings auch Wut, die Wut darüber, dass meine Partei, die FDP, in den letzten Jahrzehnten ihren liberalen Auftrag nicht mehr konsequent wahrgenommen hat. Also, ich führe nicht ein kontemplatives, sondern ein aktives Leben, geprägt von Freiheitsliebe und Verantwortungsbewusstsein. Bis heute.
    Sie haben ja immer - so haben wir das im ersten Kapitel gehört - Widerstände, ja, unglaubliche Widerstände überwinden müssen.
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