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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung
Autoren: Gerhart Baum
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    Was waren dabei Ihre größten persönlichen Enttäuschungen bzw. für welche Irrtümer müssten Sie sich entschuldigen?
    Ich sehe in meinem politischen Leben eigentlich keine großen Brüche. Natürlich habe ich hinzulernen und manche Fehlentscheidung korrigieren müssen. Ich habe Kompromisse gemacht und verteidigt, die besser nicht geschlossen worden wären. Aber so tickt der politische Alltag. Man muss sich vergegenwärtigen, dass in der Demokratie bei dem Prozess der Meinungsbildung zum Beispiel im Parlament immer viele Stimmen mitreden.
    Ich habe in der Krise 1982 - auch eine tiefe Krise der FDP - sicherlich eine ganze Reihe meiner politischen Freunde enttäuscht. Sie hätten gewünscht, dass ich mit ihnen die FDP verlasse. Einige sind zur SPD gewechselt, andere haben sich keiner Partei mehr angeschlossen. Ich habe sie enttäuscht, weil ich blieb. Ich stand innerparteilich plötzlich zwischen zwei Fronten - zwischen denen, die dem sozialliberalen Flügel der FDP ohnehin nicht freundlich gegenüberstanden, und den Sozialliberalen. Dennoch bin ich auf dem Parteitag 1982 zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt worden, wenn auch mit der denkbar knappsten Mehrheit von einer Stimme. Das war für mich emotional eine schlimme und bis heute nachwirkende Erfahrung. Ich weiß, dass mir das bis heute noch einige Parteifreunde übel nehmen und nie verstanden haben, dass ich keine Alternative zu dieser liberalen Partei gesehen habe. Ein Ministeramt in der Regierung Kohl hatte ich abgelehnt. Aber unser Verbleiben in der FDP hatte eine weitere Krise, ein weiteres Absplittern vermieden. So konnten wir immerhin einen Teil der Mitglieder und der Wähler halten und sie weiterhin an die FDP binden.
    Gab es Weichenstellungen in der deutschen Politik der letzten Jahrzehnte, die Sie noch heute bedauern oder für gefährlich halten?
    Gefährlich sind die immer wieder auftretenden Tendenzen hin zu einer Gegenaufklärung. Vor diesen warnt Ralf Dahrendorf in seinem letzten Buch »Versuchungen zur Unfreiheit« aus dem Jahr 2006. Ich nenne besonders die Tendenz hin zu einer sicherheitspolitischen Aufrüstung. Ich nenne die menschenfeindliche Ausländer- und Asylpolitik, die Realitätsverweigerung gegenüber einer neuen multikulturellen Gesellschaft sowie die offen und latent bestehende Fremdenfeindlichkeit. Ich nenne die Defizite im Bereich der Bildung, der zweifelsfrei besten Ressource, die unser Land hat. Ich nenne die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich; damit will ich sagen: Die Leistungsfähigkeit und die Menschlichkeit in unserer Gesellschaft stehen nicht in einem angemessenen Verhältnis. Zu nennen ist auch der Irrtum, dass zwischen persönlichem Vorteil und allgemeinem Wohl ein selbstverständlicher Einklang bestünde; die Perversion des »Raubtierkapitalismus« ist erneut der Beweis. »Sie hatten keine Idee, sie hatten den Markt« (Frank Schirrmacher), das war das Credo der Babyboom-Gesellschaft, geboren 1955-1970. Im Großen und Ganzen ist unsere Demokratie geglückt. Wir müssen aber wachsam und sensibel bleiben gegenüber den Gefährdungen der Freiheit.
    Worin sehen Sie die größten Schwächen und Versäumnisse der bundesdeutschen Parteien im Hinblick auf eine lebendige und offene Demokratie?
    Zunächst einmal, die Parteien sind nicht so marode, wie man sie gerne darstellt. Parteienkritik hat es immer gegeben. Schon zu Beginn der Bundesrepublik hatten sie eigentlich keinen guten Ruf. Wir befinden uns aber heute in einer Phase, in der Parteienkritik in Parteienverachtung umschlägt. Immer weniger Menschen verstehen, dass Parteien in der Demokratie eine unverzichtbare Rolle haben zum Beispiel im notwendigen Interessenausgleich untereinander. Für ihr schlechtes Ansehen tragen die Parteien Mitverantwortung. Sie neigen zu Selbstgerechtigkeit und Arroganz. Allzu oft haben Karrieristen und Klientelvertreter eine bestimmende Rolle. Es mangelt an Politikern mit Visionen und Idealen. Und an Politikern, die wirklich »authentisch« sind. Die Parteien kommen einer wachsenden Sehnsucht der Bürger nach Mitwirkung viel zu wenig entgegen. Die Bürger wollen heute - gerade auch beflügelt durch die neuen Kommunikationstechnologien - stärker an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen, nicht erst und ausschließlich bei Wahlen. Die bewährte repräsentative Demokratie bedarf einer Auffrischung. Neue Formen der Willensbildung und der Beteiligung der Bürger müssen erprobt werden. Hierzu gibt die
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