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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung
Autoren: Gerhart Baum
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ehrenamtliche Funktionen übernommen, vor allem in der Menschenrechts- und Kulturpolitik. Die Krise des Mandatsverlustes wurde durch diese neuen, bisweilen sehr motivierenden und auch erfolgreichen Aktivitäten überwunden. Ich kann bis heute viel gestalten und führe nach wie vor ein beruflich erfülltes Leben.
    Wie sind Sie mit den politischen Krisen in Ihrem Leben umgegangen?
    Ich hatte politische Freunde, ohne die ich solche Krisen überhaupt nicht hätte überwinden können. Ich möchte hier besonders meine alten Weggefährten Hildegard Hamm-Brücher und Burkhard Hirsch nennen. Es gab auch viel freundschaftlichen Zuspruch innerhalb und außerhalb der Partei, in bestimmten Phasen auch durch Rudolf Augstein und Henri Nannen. In so einer Situation stärkt man sich gegenseitig. Man ermutigt sich und man versichert sich der Zustimmung, stellt sich aber auch der Kritik von politischen Freunden. Als Alleinkämpfer, als Einzelgänger erreichen Sie nichts.
    Wenn Sie Ihre eigene Rolle für die deutsche Politik bewerten: Auf welche Ihrer Leistungen sind Sie mit Recht stolz?
    Stolz ist das falsche Wort, ich würde lieber von Zufriedenheit über Erfolge sprechen. Ich greife einige Dinge heraus.
    Die wirklich intensive aktive Mitwirkung zur Veränderung von der eher konservativ geprägten FDP hin zur FDP der sozialliberalen Koalition. Hin zu einer neuen Deutschland- und Ost-Politik, hin zu einem Reformliberalismus, der sich durch Entscheidungen der sozialliberalen Koalition auf vielen Feldern realisieren konnte. Das sehe ich als ganz wichtige Leistungen.
    Ich habe mich immer bemüht, Brücken zur jungen Generation aufzubauen. Dies geschah während einer sehr kritischen Phase der Republik, als viele junge Menschen in einer tiefen Vertrauenskrise zu den Parteien und zur älteren Generation ihre Ziele in einer außerparlamentarischen Opposition zu verwirklichen suchten. Brückenbau bedeutete damals - und das war ganz entscheidend - vor allem Abbau des sogenannten Radikalenerlasses von 1972. Der Radikalenerlass hatte dazu geführt, dass der Verfassungsschutz politische Aktivitäten in großer Zahl in seinen Dateien gespeichert hatte, die dann jungen Menschen, wenn sie sich etwa um ein Lehramt bemühten, zum Nachteil gereicht haben. Hier wurden politische Aktivitäten, die damals in den verschiedensten auch durchaus verfassungsfeindlichen Gruppen bisweilen überbordend und überschäumend waren, bürokratisch registriert, auch »Jugendsünden«. Diese lasteten dann auf dem Leben der jungen Leute. Sobald ich im Amt war, wurde im Frühjahr 1979 für Bewerber im öffentlichen Dienst die Regelanfrage beim Verfassungsschutz abgeschafft. Ich wollte den jungen Menschen signalisieren: Der Staat hat Vertrauen zu euch und ihr könnt Vertrauen in das demokratische System setzen. Es ist reformfähig, ihr müsst nur die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten nutzen!
    Mit diesem Argument habe ich auch Brücken zu der Sympathisantenszene der RAF gebaut. Das Heranführen von Menschen an eine lebendige, veränderungsfähige Demokratie war und ist für mich wichtig. Das heißt aber auch, dass die Menschen bereit sein müssen, Verantwortung zu übernehmen. Ein Schritt dahin wäre beispielsweise die immer noch unpopuläre Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei. Ich möchte die Demokratie durch das Vertrauen ihrer Bürger stärken. Und diese nicht mit pauschalem Misstrauen überziehen, wie das heute bei der Bekämpfung des Terrorismus geschieht, Stichwort »Vorratsspeicherung«.
    Ich wollte vorleben, dass auch ein Liberaler seinen Grundüberzeugungen nicht untreu werden muss, wenn er »Sicherheitsminister« dieser Republik ist - auch wenn ich diese Überzeugung nicht immer in allerletzter Konsequenz umsetzen konnte. Es mag vielleicht ein wenig eitel klingen, aber ich bin doch etwas stolz auf den Satz von Heinrich Böll nach dem Ausscheiden aus meinem Amt: »Baum ist der beste Innenminister gewesen, den wir je hatten.« Auch wenn diese Aussage nun viele Jahrzehnte zurückliegt.
    Ich habe mich mit allen Kräften und großer Freude immer wieder für die Freiheit und Förderung der Kultur eingesetzt. Nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik habe ich andere Möglichkeiten genutzt, um meine Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen. Immer wieder habe ich mich eingemischt, und es erfüllt mich mit Befriedigung, dass nicht wenige, gerade auch jüngere Menschen, mich in der Rolle des unabhängigen Liberalen wahrnehmen und oft auch meinen Rat
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