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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung
Autoren: Gerhart Baum
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Piratenpartei durchaus Anstöße, die allerdings nicht durchweg praktikabel sind. Ihr Modell »liquid democracy«, wenn es auf eine ständige innerparteiliche Willensbildung hinausläuft, taugt dafür nicht. Die Gewählten dürfen aus ihrer Entscheidungsfreiheit und ihrer Verantwortung nicht entlassen werden. Politik braucht Beständigkeit und Zuständigkeit.
    Sie selbst sind als politischer Denker und Mitgestalter des politischen Geschehens über viele Jahre sicher für manch jüngere Politiker und politisch Interessierte ein Vorbild. An wem haben Sie sich orientiert und warum?
    Ich hatte das Glück, einen Lehrer, einen Mentor zu haben, der mich nicht nur früh in die Literatur, Kunst und Musik einführte, sondern auch in die Ideen der Aufklärung und in die Tradition der Freiheitsbewegungen in Deutschland: Adolf Grote. Ich erwähnte ihn bereits an früherer Stelle. Er veranlasste mich, auch die Nachtseiten der deutschen Geschichte zu sehen, die zum Verhängnis von 1933 geführt haben. Ich meine das gespaltene Verhältnis der Deutschen zur Freiheit. Deutschland hat permanent vor den Revolutionen der anderen Völker versagt. Thomas Mann sagt: »Der Grund ist, dass Deutschland nie eine Revolution gehabt und nicht gelernt hat, den Begriff der Nation mit dem der Freiheit zu vereinigen.« Die Deutschen hätten - so Karl Marx - niemals die Revolutionen der anderen Völker geteilt, wohl aber deren Restaurationen. Aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass die friedliche Revolution 1989 in der DDR die erste und bisher einzige in der deutschen Geschichte war, die gelang.
    In der Partei wurde ich geprägt von Vordenkern wie Karl-Hermann Flach, Ralf Dahrendorf und Werner Maihofer. Ich nenne aber auch Thomas Dehler, der mir als politische Persönlichkeit sehr imponierte, weil er wirklich ein unabhängiger liberaler Kopf war - auch wenn ich nicht alle seine Auffassungen teilte. Mit ihm hatte ich einen engen Gesprächskontakt. Und natürlich Hans-Dietrich Genscher, mit dem ich heute mehr denn je befreundet bin: Von ihm habe ich über all die Jahre viel gelernt.
    Gibt es heute noch Persönlichkeiten mit Vorbildcharakter oder regiert Beliebigkeit und Selbstdarstellung. Brauchen wir überhaupt Vorbilder?
    Tatsächlich brauchen wir Vorbilder. In unseren engeren Lebenskreisen finden wir immer wieder Menschen, die durchaus Vorbildcharakter haben. Sie müssen nicht prominent sein. Zum Beispiel ein Pfarrer in der Kölner Südstadt, der sich für Obdachlose und Asylanten engagiert. Oder ein ehemaliger RAF-Terrorist, der versucht, straffällig gewordenen Jugendlichen in Köln den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen. Oder eine Frau, die sich seit Jahrzehnten im Auftrag der Kirche aufopferungsvoll für die Menschen im krisengeschüttelten Sudan und für einen dauerhaften Friedensprozess einsetzt. Diese Menschen haben in ihrem Lebenskreis prägende Wirkung. Sie sind der Humus einer freien Gesellschaft. Das sind die eigentlichen Vorbilder, die dann andere Leute mitziehen und motivieren.
    Welche Begegnungen in Ihrem politischen Leben haben die tiefsten Spuren hinterlassen?
    Das Zusammentreffen mit Nelson Mandela bei einem der zahlreichen Besuche in Südafrika gehört sicherlich dazu. Aber wichtiger noch waren für mich die Begegnungen mit unbekannten Freiheitskämpfern. Zum Beispiel mit Dissidenten in Moskau, mit Bürgerrechtlern in der DDR, mit Vertretern der Charta 77 in Prag. Und heute: mit Menschenrechtsverteidigern im Sudan, Iran, in den arabischen Ländern und in China.
    Verbindet diese Personen etwas? Charisma, Mut?
    Diese Personen verbindet der Mut zur Freiheit unter schwierigen Umständen, mit Gefahren für ihr eigenes Leben und das ihrer Familien. Diesen Mut, sich in einem Unrechtsregime zur Freiheit zu bekennen, den habe ich immer bewundert. Das waren die besten Begegnungen, die ich in meinem Leben hatte.

Dank
    Matthias Franck hatte die Idee zu diesem Buch. Er war der Anreger und auch der Motor, die Idee sofort in die Tat umzusetzen. Er plante die Struktur, den Ablauf und entwarf die Dramaturgie. Es folgten viele Sitzungen mit höchst lebendigen Gesprächen. Er zwang mich zum Erinnern. Dank Ihnen, Matthias Franck, für Ihre produktive Neugierde! Und den Verleger brachten Sie gleich mit: Herzlichen Dank, Martin Scherer, dass Sie sich auf dieses Buchabenteuer eingelassen haben!
    In besonderer Weise danke ich meiner Ehefrau Renate. Sie hat gemeinsam mit mir die Last der redaktionellen Feinarbeit auf sich genommen. Es war eine Zeit
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