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Im Königreich der Frommen (German Edition)

Im Königreich der Frommen (German Edition)

Titel: Im Königreich der Frommen (German Edition)
Autoren: Peter Boehm
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EIN GEBET FÜR DEN REGEN
    Die saudi-arabische
Hauptstadt Riad liegt mitten in der Wüste. Dort regnet es also
nicht oft, auch nicht Mitte Januar. Deshalb war ich erstaunt, als
ich eines Abends sah, die Wettervorhersage im Internet sagte für
den nächsten Tag richtigen Regen voraus.
    Früh am
nächsten Morgen schon orgelten die Imame über die
Lautsprecher auf den Moscheen Gebete für den Regen durch die
Viertel. In den Zeitungen stand, der König habe sie nach langer
Dürre angewiesen, zusammen mit den Gläubigen für das
Leben spendende Nass zu beten. Bis auf einige wenige Imame in
privaten Moscheen ist der König als Oberhaupt der Gläubigen
derjenige, der die Imame beschäftigt und bezahlt.
    Der Regen kam wie
vorhergesagt. Aber er kam so dick, dass das Wasser bald kniehoch in
den Straßen stand. Unsere Studenten baten uns, sie zwei
Stunden früher nach hause gehen zu lassen, um nicht ins
erwartete Verkehrschaos zu geraten. Wo zuvor flache, breite Straßen
waren, staute sich nun weitflächig das Wasser. Von unserer
Schule nach Hause bahnte sich unser Kleinbus langsam den Weg durch
riesige Pfützen, kleine Seen wirklich und an machen Stellen
kleine Flüsse. Vor unserem Apartmentblock stand ein paar Tage
lang ein kleiner Teich, den wir weiträumig umgehen mussten,
wollten wir nicht nasse Füße bekommen – bis
schließlich ein Tanklastwagen kam und ihn abpumpte.
    Dschidda, die
Hafenstadt am Roten Meer, stand wieder einmal völlig unter
Wasser. Nach starken Regenfällen im Dezember 2009 sind dort
nach offiziellen Angaben mehr als 120 Leute ertrunken – die
meisten jämmerlich in ihren Autos.
    Warum ist das so
ein großes Ding, fragte ich mich, wenn es im Königreich
einmal regnet? Der Grund war einfach zu verstehen: Die Städte
des Landes haben keine Kanalisation. Das Regenwasser kann also nicht
ablaufen.
    Aber warum war das
so? Selbst nach Dutzenden von Zeitungsseiten, die die Journalisten
hier schon zu dem Thema vollgepinselt haben, war mir immer noch
nicht klar, warum die Städte eigentlich keine Kanalisation
hatten.
    Ein europäischer
Bauingenieur, an den ich mich verzweifelt um Aufklärung wandte,
erzählte mir, ursprünglich hätten die Stadtplaner
einfach auf sie verzichtet. Wie oft regnet es schon in der Wüste!
Als die Städte jedoch wuchsen, die asphaltierte Fläche
zunahm und das Wasser immer weniger Platz fand abzulaufen, mussten
sie ihre Meinung ändern.
    In Dschidda zum
Beispiel war das vor rund zehn Jahren. Nur: Die Regierungsgelder für
die geplanten Abwasser-Baumaßnahmen verschwanden in den
Taschen irgendeines Prinzen und/oder seiner Getreuen. Deshalb wurde
keine Kanalisation gebaut und deshalb stehen die saudischen Städte
heute unter Wasser, wenn der Regen kommt.
    Blieb für mich
allerdings noch eine Frage: Waren es wirklich die Gebete der
Gläubigen, die den Regen brachten?
    Das fragte ich den
jungen Saudi an der Rezeption unseres Apartmentblocks am Tag nach
dem Guss. Er hat studiert, aber er sagte: „Der Herr lässt
uns nicht im Stich.“
    Ich fragte den
nächsten, meinen Vorgesetzten an der Hochschule. Er hat in
England studiert und acht Jahre lang dort gelebt. Er verdrehte die
Augen und sprach versonnen: „Aber natürlich, das ganze
Land hat ja dafür gebetet.“
    Nur der
Menschenrechtler Mohammed Al Qahtani winkte gelangweilt ab. Er ist
so eine Art Ein-Mann-Opposition des Landes, einer der ganz wenigen
Saudis, die ungezwungen mit westlichen Journalisten reden. Ohne
nachzudenken sagte er: „Die Show ziehen die hier immer ab,
bevor es anfängt zu regnen.“
    Willkommen im
Königreich der Frommen. Auf den Einen mag Saudi Arabien wirken
wie eine große Show. Das Land selbst sieht sich jedoch als die
von Gott gegebene Antwort auf die Frage nach der staatlichen
Organisation, als irdisches Paradies der Gläubigen. Bis die
Anschläge des 11. September 2001 Saudi Arabien in seinem
Selbstverständnis erschütterten – fünfzehn der
neunzehn Flugzeugentführer waren junge Saudis –
behauptete der Klerus des Landes noch, Saudi Arabien habe das
„perfekte islamische System“.
    So ähnlich
sehen es auch andere. Für Hafis Muhammed Saeed, den Chef der
pakistanischen Jamaat Ud Dawah-Gruppe, vormalig Lashkar eTaiba,
jener Organisation, die für die Terroranschläge 2008 in
Mumbai verantwortlich zeichnete, ist Saudi Arabien „der beste
islamische, wenn auch nicht der ideale islamische Staat“.
    Das Königreich
teilt die Ideologie der radikalen Sunni-Fundamentalisten, Al Quaida
eingeschlossen: den
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