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Im Königreich der Frommen (German Edition)

Im Königreich der Frommen (German Edition)

Titel: Im Königreich der Frommen (German Edition)
Autoren: Peter Boehm
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fast zum Alltag zurückgekehrt, als
am frühen Morgen eine Handvoll Männer mit wilden Haaren
und zerzausten Bärten den Imam der großen Moschee von
Mekka rüde zur Seite schubsten und sich das Mikrofon für
den Aufruf zum Gebet griffen. „Der Mahdi und seine Männer
suchen Schutz in der heiligen Moschee, weil sie überall
verfolgt werden, bis sie keine andere Rettung als die heilige
Moschee sehen“, hallte es über den großen Platz.
    Unter mit weißen
Tüchern bedeckten Bahren, dem letzten Vehikel für die
Toten, hatten die Männer über Nacht Waffen in den Keller
der Moschee geschmuggelt. Auf den Bahren lagen automatische Gewehre,
aber auch altmodische Musketen. Ein Lastwagen hatte Verpflegung
gebracht. Ihre Frauen und Kinder, die in der Moschee beteten,
schlossen sich den Rebellen an. Schließlich versammelten sich
bis zu 300 Kämpfer. Sie entließen die Gläubigen aus
der Moschee und verschlossen die Tore mit schweren Ketten. Auf den
Minaretten postierten sie Scharfschützen, die jeden
niederstreckten, der versuchte sich der Moschee zu nähern.
    Der Anführer
der Besetzer Juhaiman Al Oteibi kam aus Qassim, der Hochburg der
Ikhwan, nördlich von Riad. Er hatte in der Nationalgarde
gedient, einer Beduinentruppe, als Gegengewicht zur saudischen Armee
geschaffen, wurde jedoch unehrenhaft daraus entlassen. Dann zog er
als Wanderprediger durch die Lande und denunzierte die korrupte
Lebensweise im Königreich. Ihm träumte, dass einer seiner
Jünger, der 27-jährige Mohammed Al Qahtani, der Mahdi sei.
Im Volksglauben gilt der Mahdi als Erlöser, der triumphal zur
Erde zurückkehren wird.
    Doch die Besetzer
der Moschee hatten auch ganz konkrete Beschwerden vorzubringen. Über
das Lautsprechersystem der Moschee prangerte Juhaiman die saudischen
Prinzen an, die Alkohol tranken, ihr Glücksspiel, ihre Sucht
sich zu bereichern. Er nannte Geschäftsleute und Details der
Verträge, die sie angeblich mit den Prinzen geschlossen hätten.
Besonders streng ging er mit dem Gouverneur von Mekka Prinz Fawaz
ins Gericht.
    Auffällig ist
auch, wie ähnlich die Stoßrichtung von Juhaimans Kritik
derjenigen war, die Osama Bin Laden später dem Königshaus
vorhielt. Juhaiman denunzierte den Einfluss der westlichen Berater
des Königshauses und die Präsenz der vielen Nicht-Muslime
im Königreich. Außerdem hielt er dem saudischen Klerus
vor, für Geld diejenigen Fatwas zu sprechen, die das Königshaus
haben wollte.
    Die Besetzung der
großen Moschee sollte ein Zeichen sein, der Auftakt für
einen Aufstand gegen das korrupte saudische Königshaus. Aber
der Aufstand blieb aus. Die Sicherheitskräfte ließen den
Strom und das Wasser abstellen und kappten die Telefonleitungen aus
Mekka ins Land. Der Oberste Rat der Kleriker musste zusammentreten,
um eine Fatwa zu erlassen, die es erlaubte, die Besetzer mit
Waffengewalt aus dem Gotteshaus zu vertreiben.
    Dann begann die
langsame und blutige Rückeroberung der Moschee. Um die oberen
Stockwerke in ihre Gewalt zu bringen, brauchten die
Sicherheitskräfte sechs Tage. Die Besetzer zogen sich in die
Keller zurück. Die Sicherheitskräfte leiteten Gas hinein,
fluteten sie und setzten sie unter Strom, aber erst nach zwei Wochen
ergaben sich die letzten Besetzer. Rund 200 saudische
Sicherheitskräfte und 117 Rebellen ließen ihr Leben.
    Schon ein paar
Monate zuvor hatte sich die saudische Königsfamilie auf der
gegenüberliegenden Seite des Persischen Golfes anschauen
können, was absoluten, säkularen und pro-westlichen
Herrschern zustoßen kann. Der Schah von Persien wurde
gestürzt. Deshalb traf die Besetzung der großen Moschee
das Königshaus so tief. Das durfte in Riad nicht passieren. Das
Königshaus steuerte um.
    Nach der Besetzung
der großen Moschee wurden in Saudi Arabien die letzten Steine
ins Haus des „perfekten islamischen Systems“ gesetzt.
Nachrichtensprecherinnen wurden aus dem Fernsehen gebannt, Fotos von
Frauen aus den Zeitungen. Bald verschwanden die Bilder von Frauen
ganz aus der Öffentlichkeit. Die Kinos des Landes wurden
geschlossen. Die noch heute gültige Kleiderordnung wurde
eingeführt. Alle westlichen Feiertage wurden verboten.
„Westliche“ Fächer wie Geographie, Geschichte und
andere Wissenschaften wurden aus den Lehrplänen der Schulen und
Universitäten entfernt und durch religiöse Studien
ersetzt. Auch der von den Besetzern der großen Moschee
kritisierte Gouverneur von Mekka wurde geschasst. „Das
saudische Königshaus hatte Juhaiman hinrichten
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