Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
beschlossen. Ich wollte ihr einen Kuss geben, wie ich das mit meiner Ma schon geübt hatte.
    Aber ich sagte nicht: Alles Gute zum Geburtstag. Ich sagte gar nichts.
    Ich gab ihr auch keinen Kuss.
    Ich machte gar nichts.
    Eine Frau tauchte in der Tür auf, und sie sagte: »Hallo, du bist der Simon? Ich bin Ales Mutter.«
    Wer war Ale?
    Vor mir stand Annalena und hielt mein Geschenk in der Hand.
    Meine Ohren hörten die Musik. Meine Augen sahen hinter der Frau einen Mann, der ein Glas in der Hand hatte und mit der anderen Hand winkte.
    Meine Ohren hörten, wie Annalena sagte: »So schüchtern bist du.«
    Und dann kriegten meine Lippen einen Kuss.
    Und dann rannten meine Beine los.
    Sie rannten über den Flur auf das Fenster zu. Mein rechter Arm stieß die Tür zum Treppenhaus auf, und mein ganzer Körper hechtete meinen Beinen hinterher.
    Alles kaputt, alles kaputt, sagte jemand in mir im einundzwanzigsten Stock.
    Du hast überhaupt nichts getan, sagte jemand in mir im neunzehnten Stock.
    Du hast nicht mal was gesagt, sagte jemand in mir im siebzehnten Stock.
    Du bist bloß blöd dagestanden, sagte jemand in mir im fünfzehnten Stock.
    Du bist ein Depp ein Depp ein Depp, sagte jemand in mir im dreizehnten Stock.
    Du bist so ein Feigling, sagte jemand in mir im elften Stock.
    Wieso bist du überhaupt hier?, sagte jemand in mir im neunten Stock.
    Du hast gar nichts kapiert auf der Vogelinsel, sagte jemand in mir im siebten Stock.
    Jetzt wirst du verschrumpeln und versteinern, sagte jemand in mir im fünften Stock.
    Dich gibt‘s gar nicht mehr, sagte jemand in mir im dritten Stock.
    Du hast keine Stimme mehr und kriegst sie nicht wieder wie einen Führerschein, sagte jemand in mir im ersten Stock.
    Du bist der größte Wegläufer aller Zeiten, noch größer als der Narziss, sagte jemand in mir im Kellergeschoss.
    Spül dich doch ins Klo runter, sagte jemand in mir auf der Toilette.
    Und ich kniete mich auf den Boden und starb zum zweiten Mal innerhalb von einer Woche, und diesmal zum letzten Mal.
    Zum allerletzten Mal.
    Zum allerallerletzten Mal.
    Und mein ganzes Leben floss aus meinen Augen raus. Und es floss aus meiner Nase raus und aus meinem Mund.

Fünfundzwanzig
    Immer noch Sonntag
    Bevor ich starb, dachte ich noch: Alles gelogen, und ich bin volle Hütte drauf reingefallen. Nümpfen gibt‘s gar nicht, auch wenn in den Büchern was drüber steht. Das steht bloß so da, damit die Seiten nicht leer bleiben. Die tricksen uns alle aus, so wie die Prominenten, über die meine Ma in den Illustrierten liest, alles gelogen. Das Einzige, was stimmt, ist, dass ich Simon Kesselbeck heiße und fast einen Meter vierzig groß bin. Und das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Das ist total unwichtig.
    Weil ich gleich sterbe.
    Und dann bin ich gestorben.

Sechsundzwanzig
    Immer noch Sonntag
    Und dann hörte ich eine Stimme. »Nicht traurig sein, Simon«, sagte die Stimme. »Du hast immer noch Angst vor dir. Aber erinnere dich an die Worte deines Opas. Weißt du noch, was er zu dir gesagt hat?«
    Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste es, aber es fiel mir nicht ein auf dem Klo im Keller vom Grand Hotel.
    »Ein Herzkasperl im Kopf ist das Schönste, was dir passieren kann, hat er zu dir gesagt«, sagte die Stimme.
    Ich hockte auf der zugeklappten Schüssel und starrte die Kabinentür an. Die Stimme hatte ich sofort wiedererkannt.
    Keine Ahnung, wieso ich wieder nicht gestorben war. »Fahr nach oben«, sagte die Stimme, als hätte ich sie drum gebeten. »Und gib Annalena endlich den Kuss, den du ihr zum Geburtstag versprochen hast.«
    »Ich hab ihr gar nichts versprochen«, sagte ich.
    »Du hast es ihr heut Nacht versprochen.«
    »Was machst du hier?«, sagte ich und sprang auf. Mir war total schwindlig.
    Ich kippte nach vorn und knallte gegen die Tür. Dann tastete ich auf meinem Kopf rum. Wahrscheinlich kriegte ich jetzt eine Doppelbeule.
    »Besser als eine Doppeleule«, sagte die Stimme.
    »Haha«, sagte ich.
    Dann drehte ich mich im Kreis, bis mir fast wieder schwindlig wurde.
    Da war aber niemand.
    »Ich hab gedacht, du wohnst am Königssee«, sagte ich. Richtiger Satz zur richtigen Zeit.
    »Da wohnen meine Schwestern«, sagte Echo von irgendwo.
    »Deine Schwestern.« Ich grinste und dachte an das Grinsen meines Opas und grinste noch mehr. »Du hast viele Schwestern, oder?«
    »38 Trillionen 21 Billionen 14 Milliarden neun Millionen, 66441«, sagte Echo.
    Und ich sagte: »Wie viel genau?«
    »38 Trillionen 21 Billionen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher