Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
...«
    »Passt schon«, sagte ich.
    Kein Mensch hatte so viele Geschwister.
    »Beeil dich«, sagte sie und hinderte mich am Weiterdenken. Vorher wollte ich noch was wissen.
    »Was ist eigentlich aus dem Schönling geworden, der vor dir abgehauen ist? Hat er eine andere Nümpfe geheiratet?«
    »Er war kein Schönling, er war wirklich schön. Narzisswurde von Frauen und Mädchen genauso bewundert wie von Männern und Jungen.«
    »Buben heißt das auf Bayerisch«, sagte ich.
    Aber Echo erzählte einfach weiter. »Und eines Tages sah er sein Spiegelbild in einem See. Er war so erschüttert und berührt von seinem eigenen Bild, dass er immer wieder an den See zurückkehrte, um sich zu betrachten. Er sehnte sich nach dem schönen Mann, den er sah. Er begriff nicht, dass er es selber war. Sein Verlangen nach ihm wurde immer stärker. Er wollte die schöne Gestalt umarmen, er wollte eins sein mit ihr. Das gelang ihm nicht. Voller Verzweiflung und Traurigkeit sank er ins Gras und starb. So ist Narziss gestorben. Und als seine Schwestern den Leichnam holen wollten, um ihn zu beerdigen, fanden sie ihn nicht. An der Stelle wuchs eine blühende Blume mit weißen Blättern, die aussah wie ein Krokus.« Plötzlich war es still.
    So still wie gestern in meinem Zimmer. Stiller als still. »Du? Echo?«
    Alles still.
    »Stimmt das, dass du grüne Augen hast?«
    Alles still.
    Immer noch alles still.
    Eine blühende Blume mit weißen Blättern, dachte ich. Und ich wollte noch was denken. Da klopfte jemand an die Tür.
    Vor Schreck sperrte ich sofort auf.
    Annalena stand da. Ihr Gesicht sah total verschmiert aus. »Da bist du ja! Ich hab dich im ganzen Hotel gesucht.«
    Sie schlang die Arme um mich und küsste mich irgendwohin. Ich legte meine Arme auf ihren Rücken. Und weil sie nicht wegging, drückte ich fester zu. Und sie drückte sich noch fester an mich.
    »Obacht!«, rief ich. »Pass auf, Annalena!«
    Sie ließ mich los und machte einen Schritt von mir weg. Das war schlecht.
    »Wart schnell«, sagte ich.
    Dann verzog sie den Mund. Es sah aus wie ein Lächeln. »Obacht«, sagte sie. »Das klingt lustig. Obacht. Obacht. Was heißt das, Simon? Obacht?«
    »Die sind für dich.« Endlich konnte ich ihr die Blumen geben, die ich in der Innentasche meiner Jacke versteckt hatte. Wegen der Überraschung.
    Sie nahm den Strauß. »Wunderschön sind die«, sagte sie und roch an den Blumen, und ihre Nase tauchte ganz tief rein. »Weiße Narzissen. Die hat mir noch nie jemand geschenkt.«
    Ich hatte sie einfach gekauft, weil sie grad dastanden und irgendwie perfekt aussahen. Keine Ahnung, wie sie hießen.
    Annalena nahm mich wieder bei der Hand.
    Wir gingen raus aus der Herrentoilette, wo sie eigentlich gar nicht hindurfte.
    »Eine Stunde hab ich dich überall gesucht«, sagte sie.
    »Mit wem hast du vorhin gesprochen? Mit dir selber?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber wenn ich‘s dir erzähl, lachst du mich bestimmt brutal aus.«
    Aber das tat sie dann nicht.

Siebenundzwanzig
    Immer noch Sonntag
    Ich erzählte ihr von Echo und Narziss und dass ich das alles von Echo weiß, die plötzlich auf der Vogelinsel war und sogar auf der Herrentoilette.
    Und Annalena sagte: »Ich würde nie über dich lachen, Simon, niemals auf der Welt.«
    Ich erzählte ihr, dass ich wegen ihr meine Stimme verloren hatte.
    Sie legte ihre Hand auf meinen Mund. Und als sie sie wieder wegnahm, war meine Stimme noch da.
    Wir lachten.
    Und das war das erste Mal, dass ich mit einem Mädchen gemeinsam gelacht habe.
    Ich erzählte ihr, dass ich fast gestorben war. Da wurde sie ganz ernst. Ich erzählte ihr alles Mögliche. Wir tranken bunte süße Getränke, die ich noch nie probiert hatte. Und dann schauten wir durch das Panoramafenster runter auf die Stadt, und ich erzählte Annalena, dass ich gar nicht so weit von hier geboren worden war.
    Da sagte Annalena, dass sie mit ihren Eltern und Jil anden Tegernsee fahren und dort eine Woche bleiben und dann zurück nach Berlin fahren wird, und mir wurde ganz schwindlig.
    Ich sagte bloß: »Aha.«
    Aha. Aha.
    Aber geheult habe ich nicht.
    Ich schwör’s.
    Ich stand am Fenster, neben ihr, und sie hielt mich am Handgelenk fest, und wir schauten bis zum Horizont, wo ganz leicht die Berge zu sehen waren.
    Und als sie mich fragte, was ich denke, sagte ich: »Ich denk, dass ich grad monstermäßig glücklich bin.«
    Und sie lachte mich an.
    Das war das erste Mal, dass ein Mädchen mich anlachte. Und ich wünschte, sie würde mich weiter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher