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Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
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zusammen wie ein Luftballon, aus dem die Luft rausgelassen wurde und der jetzt am Boden liegt und auf den jeder drauftrampelt.
    Ich lag nicht auf dem Boden, sondern auf meinem Bett. Und ich verschrumpelte. Wie die Nümpfe Echo, vor der der Depp weggelaufen war wie ein Depp. So ein Deppdepp.
    Sprechen konnte ich auch nicht mehr. Ich konnte nur noch schluchzen. In den letzten Stunden hatte ich so viel geheult, dass kein Tropfen Wasser mehr in mir drin war. Deswegen verschrumpelte ich immer mehr.
    Das Schluchzen hörte dann auf. Weil keine Stimme mehr da war. Und keine Luft. Und keine Kraft. Ich lag bloß da, neben dem Telefon, das genauso stumm war wie ich. Und genauso kalt.
    Bald, dachte ich, werde ich verschwunden sein. Wie die Stimme am anderen Ende des Telefons. Wie das Tuten, das irgendwann aufgehört hatte. Echo konnte wenigstens noch nachsprechen, ich nicht. Ich konnte gar nichts mehr.
    So verging der Samstag, der neunzehnte Juli. Und ich verging gleich mit, und niemand merkte was.
    Mein Vater war lustig beim Vorlesen in Hamburg, meine Ma war lustig beim Kochen im Hotel, und wenn sie zurückkam, war ich weg. Sie würde sich wundern und denken, ich wäre schon wieder verschwunden. Sie würde den Hauptkommissar Reiter anrufen.
    Aber ich bin dann bloß äußerlich nicht mehr da, das ist ja das Geheimnis. Ich bin da, aber keiner kann mich sehen. Ich liege immer noch auf dem Bett. Und meine Ma nimmt das Telefon, um meinen Vater anzurufen und dann den Hauptkommissar Reiter. Und wenn sie aufhört zu sprechen und sich umschaut, wird sie ganz schön staunen.
    Auf dem Bett liegt nämlich ein zweites Telefon. Das ist genauso grau wie das, was sie in der Hand hält. Und sie denkt: Wieso haben wir auf einmal zwei Telefone?
    Sie schaut es an und checkt nichts.
    Ich bin das zweite Telefon.
    Meine Knochen haben sich nicht in Stein verwandelt wie die von Echo, sondern in ein Telefon. Weil das so ist im einundzwanzigsten Jahrhundert.
    Da verwandelt man sich nicht in einen Stein, wenn einerwegläuft, der auf keinen Fall weglaufen darf, sondern in ein Telefon.
    Und das Telefon nimmt dann irgendjemand in die Hand und spricht rein. Und dann spricht das Telefon zurück, aber nur das letzte Wort. Oder die letzten zwei Worte, wenn die nicht zu lang waren.
    Und meine Ma sagt: Wo kommt denn das zweite Telefon her? Und ich sage: Her.
    Wahrscheinlich erschrickt meine Ma dann und wirft mich zurück aufs Bett.
    So verging dieser Samstag, der neunzehnte Juli.
    Und als meine Ma in der Nacht nach Hause kam, war ich ein stummes, kaltes, hartes Telefon, und sie checkte gar nichts.
    Sie holte das andere, unwichtige Telefon aus meinem Zimmer und ging gleich ins Bett, ohne ein einziges Wort mit mir zu sprechen.

Dreiundzwanzig
    Sonntag
    Meine Ma war die Erste, die was sagte. Wie immer. »Ich halt das nicht aus«, sagte sie.
    Und ich sagte, weil ich die ganze Nacht nachgedacht hatte und jetzt kein Telefon mehr war: »Ich bin zum Geburtstag eingeladen, und da geh ich auch hin.«
    Sie legte ihr Brot, das sie mit Käse und Marmelade bestrichen hatte, auf den Teller und schaute mich an wie einen anderen. Ich fand, dass sie geschlaucht aussah, ihre Augenringe hingen ihr bis zu den Lippen.
    »Was hast du im Englischen Garten getrieben, Simon?« Die Frage kannte ich inzwischen auswendig. Die Antwort auch.
    »Nichts.« Und weil Sonntag war, sagte ich noch: »Ehrlich.«
    »Warum hast du nicht angerufen? Hast du eine Ahnung, was da alles im Dunkeln passieren kann? Wer da alles im Park rumschleicht in der Nacht?«
    Ich hatte eine Ahnung, aber ich wusste nicht, wieso ich die hatte.
    »Echo«, sagte ich.
    »Was?«
    Das war mir so rausgerutscht, verdammt.
    »Ich kann‘s dir nicht erklären, Ma. Aber ich bin um elf zu einem Geburtstag im Hotel eingeladen, ich brauch ein Geschenk. Hast du eins, bitte?«
    »In welchem Hotel bist du eingeladen?«
    »In deinem. In der Towers Lounge.«
    »Und wer hat dich eingeladen?«
    »Ein Mädchen. Die Annalena. Die wird zwölf und ist mit ihren Eltern in den Ferien hier. Bitte, Ma.«
    »Es sind doch noch keine Ferien.«
    »In Berlin schon.«
    »Und woher kennst du das Mädchen?«
    »Vom Schwimmen. Sie war bei Iris schwimmen.«
    »Bei Iris«, sagte meine Ma.
    »Bei Iris«, sagte ich.
    »Bei Iris«, sagte meine Ma.
    Hoffentlich hörte Echo uns nicht zu.
    Meine Ma biss ein Stück Brot ab und kaute. Es sah nicht so aus, als hätte sie Hunger. Vor mir stand eine volle Schale Müsli, ich hatte auch keinen Hunger.
    »Wir haben doch noch
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