Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
ich unter der Bettdecke. Ein paar Mal flüsterte ich ihren Namen.
    Aber da war nur der Regen, der gegen das Fenster prasselte.

Zwanzig
    Samstag
    Manchmal wacht man auf und will was. Ich wachte auf und wollte Annalena wiedersehen.
    Ich wollte, dass sie meinen Arm am Handgelenk festhielt und ihre Hand auf meinen Mund legte. Ich wollte, dass sie Aha sagte. Aha, da bist du ja wieder.
    So ungefähr.
    Weil ich das niemandem verraten wollte und auch noch Hausarrest hatte, kam ich nicht aus meinem Zimmer raus.
    »Die Reflexion von Schallwellen an Hindernissen«, steht im Lexikon. Ein Echo ist ein Widerhall oder ein Nachhall. An Seen, die von Felsen umgeben sind, wie der Königssee, gibt es ein besonders starkes Echo.
    Und Nümpfe schreibt man eigentlich Nymphe. Aber ich nicht.
    Und müsteriös schreibt man eigentlich mysteriös. Aber ich nicht.
    Und Hüpochonder schreibt man eigentlich Hypochonder. Aber ich nicht.
    »In zehn Minuten fahren wir zum Opa.«
    Ich hatte gar nicht mitgekriegt, dass meine Ma die Tür aufgemacht hatte.
    Meine Ma redete nicht mehr mit mir. Sie sagte nur Sachen an mir vorbei. Mit »In zehn Minuten fahren wir zum Opa« war mein Globus im Regal gemeint.
    Zehn Minuten später fuhren wir ins Schwabinger Krankenhaus. Es regnete nicht mehr, der Tag war total grau. Opa Ferdi lag nicht mehr intensiv auf der Station, sondern er saß aufrecht im Bett und machte mit zwei Fingern das V-Zeichen, als er uns sah. In den beiden anderen Betten lagen Männer. Sie lagen stumm da und beachteten uns nicht. Mir wurde fast schlecht von der schlechten Luft. Als meine Ma wieder rausging, um eine Vase für die Blumen zu holen, die sie mitgebracht hatte, sagte Opa Ferdi: »Was ist los mit dir?«
    Seine Stimme klang wie das Krächzen einer erkälteten Krähe auf dem Nordfriedhof. Sein Gesicht war so grau wie der ganze Tag, und seine Augenringe hingen ihm bis übers Kinn runter. Ich dachte: Vielleicht ist er so krank, weil er immer verrosteten Zwiebelbraten isst.
    »Nichts ist los, Opa«, sagte ich.
    »Du sollst einen alten Mann nicht anschwindeln. Hast du Kummer?«
    »Nein, Opa.«
    »Bist du verliebt?«
    Zuerst dachte ich, mir platzen die Ohren.
    Dann spürte ich, wie mein Gesicht anfing zu brennen. Ich brachte meinen Mund nicht mehr zu. Als meine Ma reinkam, blieb sie an der Tür stehen und starrte mich an. Nachdem sie die Vase mit den Blumen auf den Tisch gestellt hatte, sagte sie: »Mach deinen Mund zu.«
    Ich machte ihn zu. Mein Gesicht brannte immer noch. Nicht bloß mein Gesicht, auch mein Bauch und mein Kopf brannten brutal.
    Meine Ma setzte sich auf die Bettkante. Sie erklärte meinem Opa, dass wir in den Ferien nicht wie sonst an die Nordsee fahren würden, weil wir ihn nicht allein lassen wollten. Außerdem erzählte sie ihm, dass ich meine Schuhe verloren und die Schule geschwänzt hatte und einen Tag verschwunden war und die Polizei mich suchen musste, und alles sei ganz schrecklich mit mir.
    Mein Opa hörte zu, warf mir zwischendurch einen Blick zu und gab brummende Laute von sich. Das war das berühmte Ferdi-Brummen. Über diesem Brummen hatte Oma Johanna, wie sie mal gesagt hat, »den Verstand verloren«. Keine Ahnung, wieso. Sonst war sie aber normal. Ob sie bis zu ihrem Tod den Verstand wiedergefunden hat, weiß ich nicht. Wenigstens hatte sie nie ihre Stimme wegen Opa Ferdis Brummen verloren.
    Weil sie Kaffee und Mineralwasser holen wollte, ging meine Ma wieder aus dem Zimmer. Ich setzte mich aufs Bett.
    »Wie heißt deine Freundin?«, fragte Opa Ferdi.
    »Ich hab keine Freundin«, sagte ich.
    »In deinem Kopf schon.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Er sagte einfach: »Das seh ich dir an.«
    Außer ihm hatte mir niemand was angesehen. Was eigentlich genau?
    Ich hatte keine Freundin im Kopf.
    Was ich im Kopf hatte, wusste ich nicht mehr.
    Um was anderes zu sagen, sagte ich: »Wirst du wieder gesund, Opa?«
    Er brummte ein paar Mal. Dann verzog er komisch den Mund. »Kann man nicht wissen, ich hab einen Herzkasperl gehabt, das ist riskant.«
    »Wie riskant?«, fragte ich ihn.
    »Wenn ich noch einen krieg, bin ich weg.«
    »Du kriegst keinen Herzkasperl mehr, Opa«, sagte ich. Und weil ich überhaupt nichts anderes sagen konnte, sagte ich leise: »Ich hab auch einen Herzkasperl gehabt, aber der war nur im Kopf. Ist das auch riskant?«
    Er zog seinen Arm unter der weißen Decke raus und griff nach meiner Hand. Seine Hand war monstermäßig kalt. »Ein Herzkasperl im Kopf ist das Schönste, was dir passieren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher