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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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uns.«
    »Hau ab«, sagte der Sheriff angewidert, ging in sein Büro und schloß die Tür hinter sich, dann holte er sich ein Gewehr von der Wand, lud es durch und setzte sich damit an seinen Schreibtisch. Der erste, der hier hereinkam, das hatte er fest vor, den würde er über den Haufen schießen. Aber die Leute draußen verzogen sich allmählich. Webber konnte das Gewehr entladen und wieder an die Wand hängen, dann ging er zum Zellengitter.
    »Hej«, rief er dem Indianer zu, »willst du vielleicht jetzt etwas zu essen? Mensch, was ist denn eine Delikatesse für dich? Gegrillte Regenwürmer oder weichgekochte Baumrinde, was stand auf eurem Speisezettel, hm?«
    Er winkte den Indianer zu sich her und sprach im sanftesten Tonfall, den er zur Verfügung hatte, auf diesen ein.
    Der Indianer fühlte sich tatsächlich angesprochen, richtete sich auf und kam zögernd ans Gitter.
    »Du arme, gesengte Rothaut«, sagte J. B. Webber, »was meinst du, wie Gott die Seelen verteilt hat? Hm? Meinst du wirklich auch, er hat sie so scheibchenweise verteilt wie von einer großen Stange Wurst? Da ist ‘n Weißer, der kriegt ein schönes Stück, da ‘ne Rothaut, nur zwei Drittel, da ‘n Nigger, der nur ein dünnes Scheibchen. Was ist das für ein mieser Gott, den die haben! Was sind das für miese Menschen! Die werden sich so lange die Erde untertan machen, bis die eines Tages vor lauter Untertänigkeit in die Brüche geht, das sage ich dir. Komm, Alter, so jung bist du ja auch nicht mehr. Iß endlich was. Wenigstens ein Knochensüppchen oder einen Brei, daß du was im Magen hast. Hm?«
    Jetzt standen sie einander ganz nahe gegenüber, nie hatte Webber aus solcher Nähe einen Indianer gesehen, nie dieser aus solcher Nähe einen Weißen. Der Blick eines jeden ging über den anderen hin und blieb schließlich an den Augen des anderen haften.
    »Was denkst du?« fragte Webber und versuchte ein Lächeln, weil der Blick des Indianers kaum zu ertragen war. »Lach doch auch ein bißchen«, bettelte er.
    Aber der Indianer lächelte nicht. Und Webber hatte das Gefühl, der Blick des anderen würde mit der Zeit immer vorwurfsvoller. Er ließ sich kaum ertragen.
    »Welch ein Glück«, sagte J. B. Webber, »daß ein solides und stabiles Gitter zwischen uns ist.«

    Als die Sonne am höchsten stand, brachte der große, starke Mann erneut eine Schüssel für den Gefangenen. Der Geruch war verlockend, aber der wehrte wieder ab. Sein Hunger schmerzte nicht mehr, der war zu ertragen.
    Auch an Durst litt er nicht. Er hatte Wasser zum Waschen bekommen und damit, bevor er sich wusch, seine Zunge benetzt.
    Wiederum hockte er sich hin und wartete. Er war in Geduld geübt. Er hatte manchmal tagelang Geduld aufbringen müssen, ehe er ein Reh oder einen jungen Hirsch erlegen konnte. Er stand einen halben Sonnenlauf an den Stamm eines Baumes gelehnt, bis das Wild auftauchte.
    Die Stunden verrannen. Der Gefangene nahm es nicht wahr. Er merkte nur, daß es Abend wurde und dann Nacht. Eine Weile brannte ein helles Licht draußen vor dem Gitter. Es brannte von selbst. Der große starke Mann hatte es nicht eigens angezündet. Es war ein Zauber, den er in der Nähe des Türstockes auslöste. Und wo er saß, hatte er noch ein Licht mit einem grünen Schirm darüber. Er hielt etwas in den Händen, das raschelte und das weiß war mit schwarzen Punkten und Strichen darauf. Er hielt es lange, ehe er es zusammenfaltete und neben die grüne Lampe auf den Tisch warf.
    Sheriff Webber rieb sich nach seiner Zeitungslektüre die Augen. Ein stiller Abend heute. Nichts los. Wäre nicht der verdammte Indianer hinter ihm in der Zelle gewesen, er hätte beinahe zufrieden sein können. Aber der Indianer hockte dahinten, eingehüllt in die zu weite Metzgerschürze, und rührte sich nicht.
    Andere Häftlinge, die beschimpften ihn wenigstens, die beschäftigten ihn den ganzen Tag. Mal wollten sie das haben, mal was anderes. Mal wollten sie ein Fenster geöffnet haben, mal wieder geschlossen.
    Aber sie redeten wenigstens etwas! In einer Sprache, die er verstand. Und sie aßen auch etwas. Sie aßen nicht nur, sondern es war ihnen immer zu wenig.
    Er ging wieder zum Gitter, hinter dem der Indianer hockte, und versuchte es noch einmal. Er redete ihm gut zu, aber es nützte nichts.
    Allmählich kränkte ihn dieser Hochmut. Jawohl, Hochmut, das war es. Und ein Mann, der nicht Englisch konnte, der nicht mal lesen und schreiben konnte, hatte nicht den geringsten Grund, hochmütig zu
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