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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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nicht«, meinte Webber, »der ganz bestimmt nicht.«
    Der Journalist ließ sich nicht beirren. »Aber Crazy Horse wird dir doch ein Begriff sein. Mensch, welches Datum haben wir heute?«
    »Den neunundzwanzigsten August. Was soll’s? Der neunundzwanzigste August 1911.«
    »Und am 5. September, das weiß ich, ist der Todestag von Crazy Horse. Am 5. September 1877 haben sie ihn kaltgemacht. Nein, Crazy Horse kennt er auch nicht.«
    »Wer hat ihn kaltgemacht?« fragte Webber. »Die Farmer?«
    »Nein, unsere glorreiche Armee.«
    Es entstand ein Schweigen, das beiden nicht angenehm war.
    In der Tür kam dem Zeitungsmann ein Einfall. »Sheriff, noch eine Frage...«
    »Frag nicht so viel, schreib etwas darüber!«
    »Könnt’ ich mit dem Fotografen kommen? Weiß der Teufel, die Leute wollen immer weniger lesen. Wo das noch hinführen wird? Sie wollen nur noch Bilder angucken.«
    »Hau ab und komm mit dem Fotografen, aber dann will ich meine Ruhe haben.«
    Sheriff J. B. Webber ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß das nur ein frommer Wunsch war.

    Der Indianer wußte, daß dies sein Ende war. Er kauerte in der hinteren linken Ecke der Zelle auf dem Fußboden. Er hatte sich in sich zurückgezogen und bereitete sich auf seinen Tod vor. Er kannte die Weißen. Sie ließen keinen von seinen Leuten am Leben, sogar die Kinder hatten sie erschossen oder erschlagen. Er wußte es, er hatte viele Leichen verbrannt. Deshalb war sein Haar so kurz.
    Er hatte das Gefühl, daß sein Tod vorbereitet wurde. Da waren zuerst die drei Männer gewesen, dann der eine, und er hatte durchaus begriffen, daß sie ihn gefragt hatten, aber nicht wonach. Und der letzte, der ging, der war gegangen, um wiederzukommen.
    Er fühlte, daß er sterben mußte. Würde der letzte weiße Mann, der hier war, einen Strick holen oder eine Büchse? Er versuchte an das Land der Yahi und Yana zu denken. An die Berge und Täler und an den höchsten Berg, den er je gesehen hatte, und der in seiner Sprache Waganupa hieß. Schnee bedeckte den Gipfel, und zuweilen grollte der Berg und spie Feuer und Rauch. Föhren und Fichten standen auf den Höhen, versammelten sich zu Wäldern, und die Flüsse hatten tiefe Täler und Schluchten in den Fels gegraben. Riesige Felsbrocken waren von den Bergen gefallen und lagen verstreut auf flachen Bergrücken, auf den duftenden Wiesen und mitten in den Wäldern.
    Jetzt stand wieder der große, kräftige Mann am Gitter, der Mann, der ihn hierher gebracht hatte. Er hielt eine Schüssel in der Hand, die einen merkwürdigen Geruch verbreitete. So hatte es öfter in der Nähe der Weißen gerochen, am Abend oder zu Mittag. Und der Mann redete sehr laut, als hätte er nichts und niemanden zu fürchten. Und er zeigte ihm mit der freien Hand, daß er kommen solle.
    Der Indianer erhob sich mühsam und kam an das Gitter. Und da sah er, daß das, was so eigenartig roch, Essen war. Warmes Essen, heißes Essen. Dampf stieg von der Schüssel auf, eine leichte Rauchfahne, fast wie am Waganupa. Der Mann brüllte, doch dann versuchte er wieder, freundlich zu sein. Er stieß mit der Schüssel ans Gitter, tauchte ein blankes Metall in das Essen und hielt es ihm hin. Der Indianer schüttelte den Kopf. Von den Weißen kam nichts Gutes. Und jetzt wußte er es auch. Sie wollten ihn nicht mit dem Gewehr töten und nicht mit dem Strick. Sie wollten ihn vergiften, in ihrem Essen war Gift.
    Er schüttelte den Kopf und ging in seine Ecke zurück, kauerte sich hin und reagierte nicht mehr auf die Rufe des großen weißen Mannes.
    Und dann stand plötzlich wieder der andere Mann in der Tür, der vorhin gegangen war, und er hatte einen Fremden mitgebracht, der ein dreibeiniges Ding mit sich trug, das in der Mitte ein Auge hatte.
    Die drei sprachen nun miteinander, und der Indianer hatte das Gefühl, sie stritten, weil sie so laut waren. Sie redeten mit den Zungen und mit den Händen, sie rüttelten an seinem Gitter, das ihn schützte, und da kam, was er gefürchtet hatte. Sie wollten ihn haben. Der große, starke Mann mußte ihn ausliefern. Ihm war klar, daß das seine letzten Atemzüge waren, das Auge, das auf ihn gerichtet war, würde ihn töten.
    Nun entfaltete der neu hinzugekommene Mann noch ein schwarzes Tuch und verhüllte sich und die Waffe mit den drei Beinen damit. Der Indianer stand da und wartete, bis es vorüber war. Er begriff nicht, was um ihn herum vorging und welche Riten die Weißen vollzogen. Er wollte keine Angst zeigen und stand aufrecht. Er war
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