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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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der Weißen sich entfernten, kletterte er weiter hinunter und kam fast kraftlos unten an. Seine Schwester und seine Mutter hoben ihn auf den Felsvorsprung, wo er zusammensank. Er spürte seine Arme kaum, er hatte sich zu stark in den Mauerwinkel gepreßt, seine Hände fühlten sich taub an. Er erhob sich. Ihn fröstelte. Er hatte das Gefühl, es sei nicht genug Luft zum Atmen im Raum. Er war die klare Luft am Waganupa gewöhnt, dem Berg, in dem grollende Geister hausten und auf dessen Gipfel immer Schnee lag.
    Lautlos richtete er sich auf und stand eine Weile, dann schlich er zur Pritsche und faßte die rauhe, schwere Decke an. Als nichts geschah, drückte er nach einer längeren Pause mit beiden Händen auf das Holzgestell. Es schien nicht nachzugeben. Wieder ließ er einige Zeit verstreichen. Er hob den Kopf und schloß die Augen, um besser lauschen zu können. Aber da war Stille, nur ziemlich weit entfernt, irgendwo in der Stadt, bellte ein Hund.
    Er drehte der Pritsche den Rücken zu und setzte sich kurz darauf; kaum aber hatte er sein ganzes Gewicht der Pritsche überlassen, fuhr er wieder hoch. Er traute dem Frieden nicht. Dann aber übermannte ihn doch die Müdigkeit. Er war zu erschöpft. Er wußte nicht mehr die Zahl der Tage, da er das letztemal einigermaßen satt geworden war. Der Hunger plagte ihn jetzt im hohen Sommer schlimmer als sonst gegen Ende des Winters, wenn die Vorräte zu Ende gingen.
    Er setzte sich wieder auf die Pritsche, diesmal länger. Das war angenehm und weich. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich hinzulegen und auszustrecken. Ihn überkam ein wohliges Gefühl. Dann aber starrte er die Zellendecke über sich an, an der er nichts erkennen konnte. Ob da oben eine Gefahr auf ihn lauerte?
    In der Hütte eines Yahis hätte er keine Angst haben müssen. Aber in einem Haus der Weißen? Er stand auf und ging wieder in seine Ecke. Die Mauer, an der er vorhin gelehnt hatte, war schnell erkaltet. Aber das machte nichts. Hier fühlte er sich sicher, wie auf dem Felsvorsprung in ihrer Schlucht, auf dieser schmalen Steinplatte, auf der sie gelernt hatten zu leben. Ein idealer Platz für Gejagte. Über ihnen eine leicht überhängende bis senkrecht abstürzende Wand, tief unter ihnen das immerwährende Rauschen des Flusses.
    Wiederum hing er fast ohne Kraft im Seil aus Wolfsmilchfasern. Und wiederum war es ihm, als würden ihn seine Mutter und Schwester vom Seil weg auf die Felsplattform heben. Und er sank am Fels nieder und schlief vor Erschöpfung ein.

    Am nächsten Tag hätte Sheriff Webber viel darum gegeben, weiß Gott wo zu sein, nur nicht in seinem Office.
    Die Leute kamen, als hätte er ein wildes Tier gefangen.
    »Haut ab!« brüllte er wütend. »Seht zu, daß ihr wegkommt. Gefangene dürfen nicht besichtigt werden. Seht euch das Bild in der Zeitung an. Mehr als da steht, kann ich euch nicht sagen.«
    Aber die Leute wollten mehr wissen, wollten hören, wie viele Weiße der Indianer umgebracht hatte und wann er wohl aufgeknüpft würde.
    »Der Mann hat nichts verbrochen«, rief Webber, »und wer nichts verbrochen hat, wird nicht verurteilt. Haut ab, sage ich.«
    »Du sprichst«, sagte ein alter weißhaariger Mann, »als ob der da drinnen ein Mensch wäre. Sieh dir das Bild in der Zeitung an, dann merkst du, das ist kein Mensch.«
    »Unser Pfarrer sagt«, schrie eine zahnlose Alte mit einer Nickelbrille auf der Nase, »unser Pfarrer sagt, Indianer haben nur die halbe Seele von einem Weißen.«
    »So ein Blödsinn!« schrie der Weißhaarige. »Diese Weiber sind doch zu dumm. Ein Indianer hat zwei Drittel von der Seele eines Weißen.«
    »Dann haben eben Nigger nur die halbe Seele von einem Weißen.«
    »Auch das ist falsch. Ein Nigger hat nur die halbe Seele von einem Indianer und daher nur ein Drittel der Seele von uns Weißen. Das ist doch klar, darum hat uns auch Gott in dieses Land geführt, daß wir es uns untertan machen. Kennst du die Bibel nicht? Da steht es, schwarz auf weiß, >Macht euch die Erde untertan.< Wir sind sein Volk, wir müssen das tun.«
    »Haut ab«, sagte der Sheriff monoton. »Ich sage immer nur, haut ab. Ihr kriegt den armen Teufel nicht zu sehen. Oder soll ich Verstärkung anfordern!«
    »Was ist mit dir los, Sheriff?« rief der weißhaarige Mann. »Wirst du alt? Gott waren die Rothäute gleichgültig, oder meinst du, er hätte sie sonst im Stich gelassen? Er hat sie nicht beschützt, weil sie Heiden waren. Das ist es. Er hat sie bestraft. Durch
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