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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen
Autoren: Anna Maxted
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am Tisch und stocherte in einem Teller mit warmem Hüttenkäse herum. Cassie und ich aßen Fisch-Nuggets - ein kurzlebiger Vorläufer der Geflügelversion - mit Pommes frites.
    Es war keine Haute Cuisine, aber besser als alles, was meine Mutter zubereitete. Als Köchin war sie ein Totalausfall. Sie gab sich Mühe, aber alles, was sie zubereitete, schmeckte grauenvoll. Selbst der Haferbrei war klumpig; dabei brauchte sie nicht mehr zu tun, als Milch reinzuschütten und zu rühren . Außerdem machte sie sich so gut wie nie die Mühe, Etiketten zu lesen, was dazu führte, dass sie unseren Haferbrei oft mit Kurkuma bestäubte statt mit Zimt.

    Völlig ins Rudern kamen sie und unser Vater, wenn es darum ging, etwas mit uns Kindern zu unternehmen. Im Verlauf der Jahre wurden Cassie und ich durch alle Herrensitze Großbritanniens geschleift - Rüstungen, Gobelins, Burggräben, jedes Mal exakt das Gleiche -, und sonntags hielt ich unseren Vater bei Laune, indem ich ihm half, unseren Volvo zu waschen. Das dauerte jedes Mal eine volle Stunde, nach der meine Hände rau und rissig waren, während der Wagen - da wir keinen Schlauch hatten und das Wasser mit dem Eimer holten - schmutzig blieb. Währenddessen war Cassie mit unserer Mutter in der Küche gefangen, wo sie ihr half, einen ekligen Kuchen zu fabrizieren.
    Eines befürworteten beide gleichermaßen: frische Luft. Wir verbrachten viel Zeit außer Haus, während unsere Eltern drinnenblieben. Wir hatten in unserem Garten einen mit orangefarbenem Sand gefüllten Sandkasten, den jeder Fuchs und Kater im weiteren Umkreis für eine Katzentoilette hielt und an dessen Rand Cassie und ich zusammengekauert viele Winternachmittage verbrachten - wir wagten es nicht, auf dem Holzrand zu sitzen, unter dem sich ein Nest von Spinnen versteckte -, wobei wir in der gefrorenen Oberfläche scharrten, Würmer und Hundekacke zur Seite schoben und den orangefarbenen Sand durchwühlten, bis wir auf den braunen Schlamm darunter stießen.
    Unsere Eltern glaubten mit religiöser Inbrunst an die Macht der Reise: zum Naturkundemuseum, dem Whipsnade Zoo, dem London Transport Museum. Solange sie Cassie und mir nur ein festes Ziel vorgeben konnten, an dem wir auf etwas Haariges oder Motorisiertes starren durften, hatten sie das Gefühl, ihrer elterlichen Pflicht gerecht geworden zu sein. Ehrlich gesagt fanden Cassie und ich die unverplante Zeit viel besser, wenn wir hinter dem Haus rote Beeren
zerquetschten oder über den weißen Gartenzaun kletterten, um auf die mit Gänseblümchen und Butterblumen übersäte Wiese der Nervenheilanstalt dahinter zu gelangen. Dort war der Rasen viel schöner als bei uns, weil niemand ihn je mähte, und ich konnte Gänseblümchenketten machen, die meiner Schwester bis zum Boden reichten. Nur ein einziges Mal sahen wir einen Geisteskranken. (»Guck mal«, sagte Cassie. »So einen Trainingsanzug hast du auch.«)
    Ich glaube, unsere Eltern gaben nicht viel auf Phantasie. Sie fühlten sich sicherer, wenn wir ordentlich beschäftigt waren. Zwanzig Jahre vor dem Auftauchen des ersten Supermodels war Stricken mein liebster Zeitvertreib. Tante Edith hatte mich mit zehn kleinen Knäueln knallbunter Wolle angestachelt - ich konnte kein Stück anfangen oder abschließen, ich konnte nur die Reihen dazwischen. Und so machte ich mich daran, den längsten Schal in der Geschichte der Menschheit zu stricken. Wenn man ihn zusammenrollte, hatte er den Umfang eines Kutschenrades - und zwar eines Fiakers. Tante Edith überließ mir ihre Restwolle, und ich hätte ewig weiterstricken können, wäre der Schal nicht eines Tages einem Kinderheim gespendet worden, und hätte meine Mutter nicht tags darauf verkündet, dass ich Tennisstunden nehmen würde.
     
    Wir waren keine besonders sportliche Familie, wenn man davon absieht, dass unsere Mutter eine begeisterte Kaluki-Kartenspielerin war. Es war wenig hilfreich, dass mein Schläger es gewichtsmäßig mit einer alten Gusseisenpfanne aufnehmen konnte. Cassie konnte sich um den Tennisunterricht drücken, indem sie jeden Schläger, den unsere Eltern für sie kauften, gleich am ersten Tag zerschmetterte. Sobald sie einen Dunlop in die Hand bekam, verwandelte sie sich in eine
Katze mit einem Spatz. Schnell war man sich einig, dass sie beim Ballett besser aufgehoben war. Von wegen. Eines Tages beschlossen unsere Eltern in einem Akt der Verzweiflung - die Kinder-Kunstschule und Miss Pricket, die Klavierlehrerin von nebenan, waren ausgebucht -, dass ich
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