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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen
Autoren: Anna Maxted
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die Isle of Wight. Sein Gepäck hätte einer Ivana Trump zur Ehre gereicht. Die Liste von Anweisungen bezüglich seines Wohlergehens, seines Tagesablaufes, seiner Gewohnheiten, Vorlieben, Abneigungen und Allergien war so lang wie das Neue Testament. Bedauerlicherweise ließ Tim sie in unserem Hausflur liegen. Und bedauerlicherweise fand und verspeiste Tomas, noch bevor wir London hinter uns gelassen hatten, etwas vom Wagenboden, das er nur als »blau« beschreiben konnte.
    Vor diesen »Ferien« hatte ich geglaubt, eine wunderbare Beziehung zu meinem Patenkind zu haben. Ich passte mindestens zweimal im Monat auf ihn auf, und Tomas kam immer gern zu uns, hauptsächlich, um in der Katzentoilette zu spielen (»Sand!«). Unsere Gespräche waren locker so tiefgründig wie die, die ich mit Tim führte. Einmal zum Beispiel sprach ich Tomas darauf an, dass seine Mutter in vier Monaten ein Baby bekommen würde.
    Seine Erwiderung: »Tomas Baby haut. Mit Stock. Tomas auf Kopf sitzt. Tomas schubst. Tomas Baby Popo haut.«
    Daraufhin ich: »Ach ja? Wirklich? Das tust du bestimmt nicht. Du bist nett zu dem Baby.«
    Und er: »Tomas rotes Kleid anzieht.«
    Noch während der Fahrt zur Isle of Wight ging es mit unserer Beziehung rapide bergab. Ich zerbrach mir den Kopf über das blaue Objekt, das er verzehrt hatte. Tim weigerte sich, in Aufregung zu geraten, aber in Wahrheit war er nur zu
faul. Um es vorwegzunehmen, das blaue Objekt hatte keine nachteiligen Auswirkungen. Dafür zog sich Tomas, obwohl er wie ein Mondastronaut ausstaffiert war, einen Schnupfen zu. Und Tim und ich entdeckten, dass uns ein Zweijähriger trotz unseres Vorsprungs von drei Jahrzehnten an Gerissenheit weit voraus war.
    Auf der Isle of Wight gab es kein Biogemüse, nur Pommes frites. Tabitha hatte gesagt: »Er isst kein Junkfood. Er liebt Avocados.«
    Nicht unter unserer Obhut. Der Kleine verputzte Coco Pops zum Frühstück. Ein Marmeladesandwich (Weißmehl) zum Mittagessen. Chips oder Pizza zum Abendessen. Sobald wir ihm etwas Nahrhaftes anzubieten wagten, schrie er, bis seine Lippen blau wurden. Er zwang uns, das Bob der Baumeister -Video (»auf keinen Fall länger als zwanzig Minuten am Tag«) mindestens viermal morgens und viermal nachmittags anzuschauen. Er weigerte sich, vor Mitternacht ins Bett zu gehen. Wäre er nicht pünktlich um halb sieben wieder aufgestanden - »Tomas wach!« -, hätte man meinen können, mit einem Teenager unterwegs zu sein.
    Vielleicht wären wir mit alldem fertig geworden, hätte uns nicht die virale Gastroenteritis heimgesucht, die an Tomas vorbeiging und stattdessen mit aller Wucht im Zentrum der Herde einschlug, will heißen: bei Tim und bei mir. Habe ich eigentlich schon die Fliegen in unserem Wohnraum erwähnt? Und das eisige Schlafzimmer? Und das Schmuddelwetter? Und die Tatsache, dass kein Restaurant vor neunzehn Uhr geöffnet hatte? (»Tomas braucht sein Abendessen um halb sechs, auf keinen Fall später!«) Ein einziges Mal schafften wir es an den Strand, wo sich Tomas innerhalb von zehn Minuten dreimal ins Meer warf und jedes einzelne Kleidungsstück durchtränkte, das ich für ihn eingepackt hatte. Nachdem
wir drei Tage würgend in einem grünen Badezimmer verbracht und kaum ein Auge zugetan hatten - Letzteres weniger wegen Tomas als wegen Tabitha, die stündlich anrief (wir logen, dass sich die Balken bogen) -, gaben wir uns geschlagen und reisten vorzeitig ab.
    Zwei Tage später gaben wir einen nur leicht verschleimten Tomas an seine rechtmäßigen Eigentümer zurück und krochen ins Bett, um uns zu erholen. Wir waren nicht mehr die ahnungslosen Optimisten, die fünf Tage zuvor eine Reise angetreten hatten. Jetzt war uns einiges klar geworden. Dass wir nie wieder in England Urlaub machen würden. Dass wir nicht gern arm waren. Dass wir hoffnungslos , absolut hoffnungslos waren, was Kinder anging. Sie konnten uns nicht leiden, wir konnten sie nicht leiden, und mochte Gott dafür sorgen, dass Jeremy und Tabitha ewig lebten.
    Zwei Wochen später bemerkte ich, dass ich schwanger war.

KAPITEL 2
    Als ich Tim eröffnete, dass ich schwanger war, sagte er: »Das bist du nicht.«
    »Bin ich wohl«, erwiderte ich und hielt ihm das Stäbchen hin.
    »Probier’s noch mal.«
    »Habe ich schon.«
    »Fuck«, sagte er.
    »Ja, hat wohl irgendwas damit zu tun.«
    Ich hatte schon so ein komisches Gefühl gehabt, als ich über eine Werbung geweint hatte, in der ein kleiner Junge an eine Tür klopft und einer alten Frau eine Schachtel
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