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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen
Autoren: Anna Maxted
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»Hulda«, aber damit konnte ich nichts anfangen, genauso wenig wie mit der Schachtel in Kristinas Nachttischschublade, in der lauter in weißem Papier verpackte Röhrchen lagen. (»Sind das Zigaretten?«)
    Jeden Tag holte mich Kristina von der Schule ab, überreichte mir ein Curly-Wurly oder ein Flake und unterhielt sich mit mir wie mit einer Erwachsenen. Ihr Verlobter war Geschäftsmann. Er hatte ein Haus in Schottland. Sie würden in Dänemark heiraten. Sie würde ein »gewaltiges« Kleid tragen, wie eine Prinzessin. Im Austausch für diese Perlen der Weisheit spielte ich mit Cassie im Kinderzimmer, während Kristina auf dem rosa Teppich saß und zuschaute, eine versonnene Miene auf ihrem Feengesicht. Es war nicht so, dass ich Cassie gemocht hätte, ich wollte nur in Kristinas Nähe sein.
    Cassie und ich entwickelten eine Beziehung, die der zweier Zellengenossen glich. Wobei Cassie eher der Drogenbaron war und ich der verschlagene Buchhalter. Ich entwickelte eine ganze Serie von Spielen, die mich bis zur Ohnmacht langweilten, aber Cassie entzückten. Beim »Zauberhuhn« zum Beispiel schleuderte ich Cassies Plüschhuhn wie einen Kricketball durch das Zimmer. Ta-taa, Hühnchen war weg. Dann musste Cassie die Augen schließen und bestimmen, ob Hühnchen von oben oder von unten wieder auftauchen sollte. Je nach Cassies Entscheidung fiel ihr das Hühnchen auf den Kopf oder quetschte sich unter ihren Popo. Ich nehme an, es zeugt von meinen illusionistischen Fähigkeiten und
von meiner Autorität, dass Cassie noch drei Jahre lang an das Zauberhuhn glaubte, nachdem sie unsere Mutter öffentlich zur Rede gestellt hatte, weil die vom Weihnachtsmann gesprochen hatte, und unseren Vater wegen eines Hinweises auf die Zahnfee getadelt hatte.
    Noch lange nachdem Kristina zu ihrem Porsche fahrenden Prinzen gezogen war, blieb ich Cassies Hofmarschall. Ohne den geringsten Gefallen daran zu finden, führte ich Ein-Frau-Stücke neben einer Bärenschauspieltruppe auf, erzählte lange, komplizierte Geschichten über Lieblingsspielzeuge, stellte in Cassies Puppenhaus Szenen aus »Dallas« nach und las ihr aus dem großen, dicken Walt-Disney-Buch vor. Schneewittchen, entsinne ich mich, war mein Lieblingsmärchen, da ich Cassie dabei zum Weinen bringen konnte, indem ich sie zwang, das Bild der bösen Hexe mit der Warze anzusehen. Außerdem erfand ich ein Spiel namens Mutprobe, bei dem Cassie unter anderem so lange wie möglich auf der heißen Heizung sitzen sollte (maximale Punktzahl für maximalen Schmerz).
    Ich machte mir keine Illusionen, dass Kinderkriegen spaßig ist. Ich hatte schon mit fünf Jahren die Wahrheit vor Augen. Kinder ruinieren dein Leben. Und damals hatte ich wenigstens das Glück, eine Ersatzmannschaft im Rücken zu haben. Unsere Eltern waren zwar nicht immer anwesend, aber sie trugen ihren Teil bei. Fast wie unsere Katze Sphinx, die Tim und mir täglich ein paar modrige Blätter voller Insekten oder, wenn sie die Spendierhosen anhatte, einen ganzen Frosch darbot, so brachten unsere Eltern immer wieder kleine Geschenke heim, die uns gewogen stimmen sollten.
    Weil unser Vater ständig Flamencotänzerinnenpuppen geschenkt bekam - im Hotel verkehrten viele spanische Gäste -, konnte Cassie eine ganze Sammlung von prunkvoll gekleideten Damen zusammentragen, die, in scharlachrote
Spitze gehüllt, kokett die schwarzen Fächer vors Gesicht hielten. Außerdem erhielt er ständig Schlüsselanhänger, und es entstand die Legende (die nicht der Wahrheit entsprach), dass ich besessen davon sei, diese langweiligen Dinger zu horten, mit denen ich nicht das Geringste anfangen konnte. Unsere Mutter kaufte mir ein Pinnbrett mit dem Bild einer Biene und eine Schachtel mit bunten Stecknadeln, womit hobbymäßig mein Schicksal besiegelt war. Im Alter von zwölf Jahren war ich ganz und gar nicht stolze Besitzerin von hundertzweiunddreißig Schlüsselanhängern - darunter einer, der wie ein Spiegelei geformt war - und keinem einzigen Schlüssel.
    Unsere Eltern waren nicht besonders einfühlsam, aber sie zahlten die Stromrechnung und die Hypotheken, und sie gaben uns zu essen. Jedes Wochenende gingen wir ins Harvester. Unser Vater mochte das Harvester, weil man sich den Teller unendlich oft an der Salatbar beladen konnte. (Wenn ich es jetzt bedenke, bedeutet die Möglichkeit, dass man sich den Teller unendlich oft an der Salatbar nachfüllen kann, nicht unbedingt, dass man es tun soll.) Unsere Mutter saß währenddessen mit verkniffener Miene
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