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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen
Autoren: Anna Maxted
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sich Tims deutsche Tante selbst eingeladen hatte, um uns das reizloseste Baby vorzuführen, das mir je zu Gesicht gekommen war. »Hah!«, hatte die Tante gesagt, während ich dem hypnotischen Sog ihres gigantischen Busens zu entkommen versuchte. »Elitzabett entfickelt Mutterkefühle!«
    Ich war Tims deutscher Tante zweimal zuvor begegnet, und auf mich wirkte sie, als könnte sie nicht verstehen, wie irgendwer anderer Meinung sein konnte als sie.
    »So ein Quatsch!«, hörte ich mich laut und unwirsch antworten. »Ich entwickle garantiert keine Muttergefühle!« Um nicht ganz so zickig zu wirken, fügte ich an: »Ich mag Babys. Sie sind so … klein. Ich selbst will nur keines haben.«
    Tims deutsche Tante quetschte das Baby an ihre Brust und ignorierte mich von diesem Augenblick an.
    Tabitha warf mir einen scharfen Blick zu und schnurrte: »Alle Babys sind wunderschön, nicht wahr? Und er ist schon so groß. Isst er gut?«
    Ich eilte in die Küche, um eine Riesenkanne Designerkaffee aufzusetzen, aus dem jedes Milligramm Koffein herausgepresst worden war, womit ich hoffentlich alle versöhnen würde.
    Danach fühlte ich mich lange, lange wie eine frisch gebadete Katze. Mindestens bis Viertel vor elf. Es gefiel mir gar nicht, dass ich mich für etwas verteidigen musste, was ich gar nicht entschieden hatte. Ich war damals dreißig, und meinem Gefühl nach war es gar nicht so lange her, dass ich mich als Fünfzehnjährige vor Tante Edith dafür hatte rechtfertigen müssen, dass ich noch keinen Freund hatte. Nicht nur, dass unsere Mitmenschen uns unterstellten, wir wären heikel in
der Wahl unseres Bestecks, sie unterstellten uns noch dazu, dass wir Kinder wollten und nur neidisch auf ihre wären. Und sie machten keinen Hehl daraus! Ich wusste wirklich nicht, was unhöflicher war.
    Ich hatte Tabithas scharfen Blick aufgefangen und fragte mich, was er wohl zu bedeuten hatte. Als Tabitha und Jeremy uns sechs Monate später zum Abendessen einluden, war er mir wenigstens halbwegs begreiflich.
    »Wir wären so gern Paten! Was für eine wunder-wunderbare, äh, Idee!«, krähte ich, bevor Tim etwas Unpassendes sagen konnte wie: »Bis jetzt ist es nur eine halbe Kaulquappe, wollt ihr nicht lieber abwarten, bis es geboren ist?« Ich liebte Tim von ganzem Herzen, aber in Fragen des gesellschaftlichen Umgangs bewegte er sich auf einem schmalen Grat. Es gab damals nicht viele Dinnerpartys, weil alle um uns herum damit beschäftigt waren, sich fortzupflanzen, aber wenn wir irgendwo eingeladen waren, hatte ich gewöhnlich den ganzen Abend meine Hand auf seiner liegen - nicht weil es mir unerträglich gewesen wäre, ihn nicht zu berühren, sondern weil ich durch dieses Arrangement in der Lage war, jeden Fauxpas durch sanften Druck im Keim zu ersticken.
    (Ich weiß, ich höre mich ungeheuer spießig an, aber als wir das letzte Mal um die Gunst unserer Anwesenheit gebeten wurden, erklärte Tim einem ziemlich eingebildeten Gast, der nach St Albans gezogen war - eine Kleinstadt, nur eine halbe Stunde von der menschlichen Zivilisation entfernt -: »Wenn ich nach St Albans ziehen müsste, hätte ich das Gefühl, ein Totalversager zu sein.«)
    St Albans war ein wunder Punkt. Tim arbeitete als Designer. Er hatte einen Halter für die Fernbedienung, ein Dartboard und eine ergonomische Fußstütze entworfen, die allesamt, trotz des mühsam im Computer generierten Bildmaterials,
unverkäuflich geblieben waren. Dann hatte er vor drei Jahren ein Töpfchen in Form einer kleinen Lokomotive designt. Ich habe keine Ahnung, warum, denn abgesehen von dem, was er zufällig im Supermarkt beobachtet hatte, wusste er absolut nichts über Kleinkinder. Anschließend lieh er sich dreißigtausend Pfund für eine Spritzgussform. Der TRAINing Seat™ erforderte eine »besonders komplexe Spritzgusstechnik«, behauptete der Typ von Plastik Magnifik. Der Prototyp wurde in der Zeitschrift Best for Baby vorgestellt und als »das Töpfchen, das abgeht wie die Eisenbahn!« angepriesen. Dies sicherte Tim ein Vorstellungsgespräch bei Woolworth, das wiederum zu einer Bestellung von fünftausend Töpfchen führte. Und als Tim seine Vision eines rosa Feenthrons erwähnte, waren sie auch davon begeistert.
    Auch wenn Woolworth an Ruhm und Nimbus nicht mit dem Conran Shop zu vergleichen war, so war es doch eine landesweite Ladenkette, und Tim und ich spürten angesichts der Aussicht auf endlosen Wohlstand ein nervöses Kribbeln. Wir wissen alle, dass man mit Geld kein Glück
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