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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen
Autoren: Anna Maxted
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Informationsaustausch direkt von Seele zu Seele, und er raubte mir den Atem. Ich fühlte ein Klicken in meiner Brust, eine physische Verschiebung, so als wäre irgendwas zerbrochen - oder vielleicht wieder heil geworden.
    George brachte sie zum Wiegen. Er zitterte.
    »Du hättest Arzt werden sollen«, sagte ich und nickte dabei zu seinem grünen Kittel hin, und er lächelte schwach.
    »Du hast das wunderbar gemacht, Cass«, sagte er. »Ich bin so stolz auf dich.« Er zögerte. »Ich wusste nicht, dass es sich so anfühlen würde.« Er sah kopfschüttelnd zu Barnaby hinüber, der, ebenfalls im Arztkittel, in einer Ecke saß und grinste. Ich konnte ihm ansehen, wie überwältigt und verlegen er war. »Du kannst mitkommen, wenn du willst«, sagte George schroff. »Das ist auch schon egal.«
    Barnaby stand auf und setzte sich wieder hin. »Mach du das«, sagte er. »Du bist der Vater.«

    George wehte davon, und aus seiner Haltung sprach eine neu gewonnene Würde und Erhabenheit (obwohl das möglicherweise nur der Kittel war). Ich sank aufs Kissen zurück und starrte benebelt an die Decke, während ich wie ein geplatzter Saum zusammengenäht wurde. Ich habe eine Tochter , ich habe eine Tochter!
    Ich lächelte Barnaby an, und er drückte meine Hand. »Du bist tapfer«, sagte er. »Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst. Ich glaube nicht, dass ich das geschafft hätte.«
    »Bring mich bloß nicht zum Lachen«, sagte ich.
    »Wie fühlt es sich an?«
    Er hätte die Risse und Blutungen meinen können. Aber ich wusste, dass er etwas anderes meinte.
    »Einfach … richtig.«
    George kehrte mit Sarah zurück, einem perfekten und tief schlafenden Wesen in einem weißen Babykleidchen. Er legte sie mir sanft in die Arme und rannte hinaus, um seine Eltern anzurufen.
    »Ich wurde auf meinen Platz verwiesen«, sagte Barnaby, wobei er mit der Fingerspitze Sarahs Kopf streichelte. »Und das zu Recht.«
    Baby Sarah übernahm es, Barnaby einen Crashkurs im Vatersein zu geben, indem sie, kaum dass er sie im Arm hielt, aus allen Öffnungen zu lecken begann. Außerdem wachte sie bis zu ihrem ersten Geburtstag jede Nacht viermal auf. Er packte das wirklich gut. Trotzdem war Alcock nicht perfekt - ich nehme an, das war unvermeidlich. Mehr als einmal schwebte ich im Morgengrauen nach unten und sah meine Tochter hellwach in ihrer Babywippe liegen und im Takt der Musik vor- und zurückschwingen, während Barnaby, von »Frère Jacques« in den Schlaf gewiegt, reglos auf der Couch lag.

    Das erste Kind in der Familie wird immer angebetet, aber ich glaube, Sarah war wirklich gesegnet. Sie hatte zwei Väter, die sie über alles liebten, dreieinhalb Sätze hingebungsvoller Großeltern (Mummy, Daddy, Sheila, Ivan, Mr und Mrs Alcock und Sarah Paulas greise Mutter Valerie, die - als uns Lucille das erste Mal einander vorstellte - über mich herfiel wie ein Weißkopfseeadler über einen Spatzen).
    Großtante Lucille wetteiferte mit Großtante Edith um die schönste Häkeldecke. Ich war gerührt und legte beide säuberlich gefaltet ins oberste Schrankfach. Mummy kannte mich besser und brachte Wagenladungen von »Ralph’s« an.
    Ein erstes Baby bestrahlt alle deine Beziehungen mit der Klarheit eines geschliffenen Diamanten. Plötzlich ragen deine Eltern riesengroß über dir auf - ob es dir gefällt oder nicht -, während manche Freunde verschwinden, ohne dass sich sagen ließe, ob das Verschwinden auf dein oder ihr Wirken zurückzuführen ist. Um mich herum wogte ein großer See an bis dahin nie angezapfter Liebe. Ich hatte Befürchtungen wegen Tante Lizbet. Sie behandelte ihre Nichte wie eine Mingvase. Und dann hatte sie in der siebten Woche eine zweite Fehlgeburt.
    Ich dachte, dass Lizbet Sarah vielleicht nicht sehen wollte. Eine Weile wollte sie niemanden sehen. Aber nach drei Wochen ermahnte mich Lizbet, ich solle sie nicht länger »unbekindert!« besuchen. Sarah war damals elf Monate - ein Alter, in dem sie dich zum Lächeln und zum Heulen bringen können. Das Kind hatte sechs Zähnchen und den Biss eines Wolfs. Ihre Schreie bohrten sich wie eine Stricknadel durchs Trommelfell. Sie schlief, als würde sie für die amerikanischen Marines trainieren. Und doch legte Sarah, als Lizbet der Hölle so nah war, wie es ein Mensch normalerweise nur sein kann, ihre molligen Ärmchen um den Hals
meiner Schwester und tätschelte mit weichen kleinen Babyhänden ihren Rücken.
    »Weißt du«, sagte Lizbet tief durchatmend und die Augen fest geschlossen,
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