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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter
Autoren: Wladimir Kaminer
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mit Kindersachen. Unsere zwei Kinder wachsen nämlich so schnell, dass sie die meisten coolen Klamotten, die wir ihnen kaufen, immer nur kurze Zeit tragen können.
    Für diese Postsendungen nutzen wir nicht die Deutsche Post. Auch die russische Post kommt nicht in Frage. Die Adresse von Baby Sonja ist zu kompliziert, die Farm liegt abseits von der kaukasischen Zivilisation, und man erreicht sie die meiste Zeit des Jahres nur mit dem Traktor. Dazu muss man auch noch über einen Berg fahren und an der richtigen, unauffälligen und nicht ausgeschilderten Stelle rechts abbiegen, sonst fällt man mit dem Traktor in die ehemalige Baugrube des Pferdekombinats. Solche Adressen kann man keiner staatlichen Post anvertrauen. Für unsere Kindersachenpakete heuern wir daher die sogenannte russische Volkspost an. Mit ihr dauert es zwar länger, ist aber sicher, und die Sachen kommen immer an.
    Die russische Volkspost funktioniert wie die Familien-Arche nach dem Prinzip der gegenseitigen Solidarität. Ich weiß nicht, seit wann es die russische Volkspost in Deutschland gibt. Ich glaube, es hat sie schon immer hier gegeben. Sobald ein dritter Russe deutschen Boden betrat, wollte der zweite zurück, und der erste wollte mit dem zweiten etwas zu seinen Verwandten nach Hause schicken. Die russische Volkspost ist eine typische Emigrantenvereinigung, in der man einander hilft. Es gibt in Deutschland bestimmt auch eine türkische und eine vietnamesische Volkspost. Die ganze Welt besteht doch aus schwer zugänglichen Ecken, die die staatliche Post nicht erreicht. Aber ich selbst kenne nur die russische Variante. Sie funktioniert so:
    Fast in jedem Bezirk gibt es eine Anlaufstelle für die Volkspost. Es kann eine Privatwohnung, eine Zahnarztpraxis oder ein Lebensmittelladen sein. Dort sitzt eine Oma und sammelt die Pakete ein. Einmal in der Woche kommt jemand mit einem LKW, um diese Sendungen weiterzutransportieren. Sie werden alle nach Köln geschickt, weil sich da die Zentrale der Volkspost befindet. Von dort aus werden die Pakete dann einzeln auf verschiedenen abenteuerlichen Wegen weitergeleitet. Wie abenteuerlich der Weg eines Paketes ist, hängt davon ab, wer es mitgenommen hat. Die Pakete fahren mit Autos, manche fliegen auch oder liegen im Zug unter der Sitzbank. Es vergehen manchmal Monate, doch früher oder später biegt der Traktor auf die Steppenstraße ein, der Traktorist übergibt die Pappkiste, und dann schießt er noch ein Polaroidfoto von dem Empfänger, wie dieser die Postsendung glücklich in Empfang nimmt. Die Fotos werden als eine Art Empfangsbestätigung zurück an den Absender geschickt. Wir haben inzwischen eine ganze Wand voll von solchen Polaroidfotos unserer kaukasischen Verwandtschaft. Wie sie aus Spaß die Pakete hochheben oder mit dem Finger auf sie zeigen oder sich die Pakete an den Bauch pressen, oder wie sich Baby Sonja auf das Paket setzt. Letztes Mal, als wir im August Urlaub im Kaukasus machten, haben wir unsere eigene Paketsendung dort in Empfang genommen, ein Paket, das wir bereits Ende Juni verschickt hatten. Wir haben uns fotografiert und das Foto zu uns nach Hause nach Berlin schicken lassen, damit die Volkspost nicht ins Stocken gerät.
     

 
3 -
Pheromone
     

     

Im Kaukasus angekommen, gehen wir immer sofort zur Post. Als Ausländer muss man sich in Russland nämlich registrieren lassen, und das kann man entweder bei der Polizei machen, die jedoch ständig überarbeitet ist und nur selten Sprechstunde hat, oder bei einer Postfiliale. Natürlich gehen alle zur Post, weil die Post viel lustiger ist als die Polizei. Außerdem werden im russischen Kapitalismus bei der Post die verrücktesten Dinge verkauft, auf die man sonst kaum trifft und die nur entfernt etwas mit Kommunikation zu tun haben. Neben Briefmarken und Umschlägen stehen dort zum Beispiel ein Kleber für Mäuse Marke »Katzenfee« im Regal, ein plüschiger grüner Esel mit großen Zähnen und eine Packung mit Pulver, das »Gesünder« heißt. Letzteres sei eine Nahrungszugabe für zu kleine Schweine, damit sie schnell größer werden, klärte mich die Postangestellte auf.
    Für Menschen hatte die Post »Pheromone« im Angebot. Es gab sie in zwei Sorten: »männlich« und »weiblich«. Diese Pheromone kosteten nur ein paar Kopeken und rochen nach nichts, sollten aber laut Beipackzettel das andere Geschlecht stark anziehen. Die Einnahme der Pheromone sollte die Partnersuche im Kaukasus vereinfachen, so habe ich das verstanden. Der Mann
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