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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter
Autoren: Wladimir Kaminer
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kritisch gegenüberstehen, geben zu, dass das russische Fernsehen noch langweiliger ist als das deutsche. Die Programme, die vom Berg Maschuk gesendet werden, Berichte über neue Bauvorhaben im Kaukasus, wann die Kirche im Dorf X fertiggestellt wird, und wie sich die Preise für Schinken und Wurst infolge der aktuellen Schweinegrippe entwickeln, diese Programme nehmen die Kinder nicht richtig mit. Bei den sowjetischen Filmen verstehen sie nicht, wovon überhaupt die ganze Zeit geredet wird. Und was die restlichen Kanäle betrifft, dort werden ähnliche Inhalte wie in Deutschland transportiert, nur mit dem Unterschied, dass in Deutschland vielleicht alle zehn Minuten eine Werbepause eingelegt wird und in Russland alle drei Minuten.
    In der Regel wird in den Pausen immer derselbe Werbespot gezeigt, damit sich die Zuschauer besser konzentrieren können und nicht durch ein zu großes Warensortiment verwirrt werden. Da kommt zum Beispiel eine Blondine ziemlich aufgeregt nach Hause und erzählt ihrem Mann, sie habe sein Lieblingsauto gerade im Sumpf versenkt, für immer und ewig. Der Mann ist außer sich vor Wut und will seine Frau dafür auf der Stelle erschlagen. Zuerst muss er sich aber rasieren. Und sieh an, beim Rasieren geht eine seltsame Verwandlung mit ihm vor: Entweder durch ein neues Deo oder einen Rasierschaum, den ihm die Blondine zuvor geschenkt hatte, kommt der Mann in eine unglaublich fröhliche Stimmung. Er will die Blondine gar nicht mehr erschlagen, im Gegenteil: Er fordert sie geradezu auf, auch alle seine restlichen Autos noch zu Schrott zu fahren, wenn er nur diesen einen Rasierschaum weiter benutzen darf. Dann wird kurz die russische Big-Brother-Variante »Unser Haus« gezeigt, und nach drei Minuten kommt die autofreie Blondine wieder zu dem Rasierschaum-Mann zurück.
    Zu Beginn jeder vollen Stunde laufen Nachrichten: im Westen nichts Gutes. Erdbeben, Bankräuber, Waldbrände, Piraten – der Westen erweist sich in den russischen Nachrichten als völlig verwahrlost. Aus dem Osten wird ebenfalls über bestimmte Schwierigkeiten berichtet, aber hier, anders als im Westen, packen die Menschen die Probleme an. Ich schaute mir das Ganze mit einem Auge aus einem scharfen Winkel vom Frühstückstisch aus an und regte mich gelegentlich über den Blödsinn auf. Doch im Großen und Ganzen ist es idiotisch, sich übers Fernsehen aufzuregen. Nach einer halben Stunde hatte ich schon wieder alles vergessen. Nur ein Satz, der immer wieder, jeden Tag, von einer tiefen Stimme gesprochen aus der Glotze kam, blieb hängen. Er irritierte mich: »Wir leben auf den Trümmern der alten Zivilisationen. Wir leben auf den Trümmern der alten Zivilisationen.« Dazu zeigte man ägyptische Pyramiden, die alten Städte der Inkas, Azteken und Mayas, die Kolosse der Osterinsel – Ruinen und Ausgrabungen weltweit. Wer sind wir, und auf den Trümmern welcher Zivilisationen leben wir? Wofür wirbt die tiefe Stimme mit dieser Aussage? Das fragte ich mich jedes Mal. Die Stimme ging auf die Frage aber nicht weiter ein. Auch in den russischen Zeitungen las ich oft, dass wir auf Trümmern leben.
    Eines Abends begann Alexej, der Mann der Cousine meiner Frau, auf dem Hof ein Gespräch zu diesem Thema. Ob ich wüsste, dass wir auf den Trümmern alter Zivilisationen leben. Alexej erklärte mir, was ich ohnehin schon aus der Zeitung wusste. Dass bei den neuesten archäologischen Untersuchungen unter den Pyramiden uralte Schlüssel gefunden worden waren, die perfekt zu den Schlössern passten, die zuvor bei der Ausgrabung eines Kurgans in der südrussischen Ebene entdeckt worden waren. In den Städten der Indianer hatte man Zeichen an den Wänden entdeckt, die ur-kyrillischen Zeichen an den Wänden alter russischer Klöster ähneln würden. Und die Kolosse auf der Osterinsel hätten einen typisch slawischen Gesichtsausdruck, das hätten ebenfalls Wissenschaftler bestätigt. Nach der neuesten Theorie kommen die Russen direkt vom Mars, und das ist in Russland heute ein großes Thema.
    »Unser Planet war früher von Menschen ganz anderen Schlages bevölkert«, erzählte mir Alexej, ein guter Tischler und nebenbei auch Philosoph. »Es waren Giganten mit riesigen Möglichkeiten. Sie waren klug, intelligent und konnten ohne Flugzeug fliegen. Eines Tages mussten sie die Erde aber aus persönlichen Gründen verlassen. Sie haben sich jedoch in den Russen genetisch fortgepflanzt, damit die Menschen, die nach ihnen kommen und den Planeten bevölkern, sich
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