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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter
Autoren: Wladimir Kaminer
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diese Fingernägel ihr Glück bringen. Doch die Nägel verlangen auch viel: regelmäßige Wartungsarbeiten, mindestens alle drei, besser alle zwei Wochen. Diese Fingernagelkorrekturen kosten Alla über die Hälfte ihres Gehaltes. Im Grunde arbeitet Alla nur für ihre Fingernägel. Das meiste Geld geht für Korrekturen drauf, den Rest gibt sie für Kosmetik aus, die zu ihren Nägeln passt.
    Der Taxifahrer im Dorf hatte ebenfalls unvermeidliche Ausgaben. Er träumte von einem neuen Auto, spielte Lotto und bekam eines Tages tatsächlich ein Gewinnerlos. Eine Firma, die mit Autos handelte, teilte ihm mit, dass er einen Opel Astra gewonnen habe. Sie könnten diesen aber nur bis nach Rostow liefern. Von dort müsste er sein Auto von einem firmeneigenen Kurier abholen lassen, der ihm das Auto bis vors Haus fahren würde. Der Kurier sollte 60 000 Rubel kosten. Der Taxifahrer überlegte nicht lange, und statt den Gewinnerbrief in den Mülleimer zu werfen oder mindestens sich selbst auf die lange Reise nach Rostow zu begeben, um den Schurken persönlich in die Augen zu schauen, nahm er auf die Schnelle in der Bank in Mineralnye Wody einen Kredit auf und überwies 60 000 Rubel an den vermeintlichen Kurier in Rostow. Das war vor zwei Jahren. Der Opel Astra ist noch immer nicht angekommen. Zunächst lachten alle im Dorf den Taxifahrer herzlos aus, inzwischen lachen sie nicht mehr. Sie haben Mitleid mit ihm. Er selbst verliert trotzdem nicht die Hoffnung: Vielleicht hat der Kurier sich bloß irgendwo in der Steppe zwischen Rostow und Mineralnye Wody verfahren, so dass er also nicht umsonst seinen Kredit abzahlt.
    Die Familie Muchin schickt ihr kleines Geld regelmäßig von der Steppenstraße nach Sibirien, wo es ihr verschollener Sohn regelmäßig bei der Post abholt. Eigentlich war er vor zwei Jahren nach Sibirien gegangen, um dort einen anständigen Job in unmittelbarer Nähe einer Öl-Pipeline zu finden und mit dem Geld seine Eltern und den jüngeren Bruder zu unterstützen. Aus bisher ungeklärten Gründen ist es dem Mann jedoch noch nicht gelungen, die sibirische Ölleitung anzuzapfen. Sein Stolz erlaubt es ihm aber nicht, mit leeren Händen zurückzukommen, deswegen überweisen ihm die Eltern jede Kopeke, die sie übrig haben, nach Sibirien.
    Und deswegen verschlammt die Steppenstraße im Herbst immer noch und bestätigt damit das uralte Klischee, die angebliche Bemerkung eines russischen Zaren: Das größte Problem Russlands sei der schlechte Zustand der Köpfe und der Straßen. Mag sein, dass der Zar Recht hatte, doch man weiß nicht von ungefähr, dass auch und gerade der Weg zur Hölle bestens asphaltiert ist.
     

 
25 -
Die Trümmer
alter Zivilisationen
     

     

Der Tag beginnt bei meiner Schwiegermutter mit einem anständigen Frühstück. Sie steht früher als wir auf und holt Brot, Käse und frische Milch aus dem Laden, in dem die Besitzerin der letzten zwei Kühe des Dorfes glücklicherweise als Verkäuferin tätig ist. Deren Milch ist so dick, dass der Löffel im Glas stehenbleibt. Während des Frühstücks in Schwiegermutters Küche müssen wir fernsehen. Das Fernsehgerät ist immer angeschaltet. Es steht direkt vor dem Küchentisch zwischen zwei großen Kühlschränken und zeigt zum Frühstück das russische Vormittagsprogramm. Der Apparat hat insgesamt sechs Kanäle und noch zwei zusätzliche, die mir unbekannt sind, weil sie am Vormittag nicht ausstrahlen. Abends sitzen wir nämlich nicht in der Küche, wir essen auf dem Hof.
    Von den sechs Kanälen ist einer das Regionalprogramm, das sogenannte »Maschuk TV«, nach jenem Berg benannt, wo der russische Dichter Lermontow sich einst zu Tode duellierte. Dort steht heute eine hohe Antenne, die man schon von weitem sieht. Ferner gibt es einen Nostalgie-Kanal, in dem nur optimistische sowjetische Filme laufen: Lobeshymnen auf die frühere Zeit, auf große Bauvorhaben, die inzwischen nach und nach auseinanderfallen, auf friedliches Kolchosenleben, das in Wirklichkeit Millionen in den Hunger trieb, und auf den heroischen Sieg des sowjetischen Volkes im Zweiten Weltkrieg, wobei die Maschinengewehre, die in den Rücken des Volkes zielten, in der Regel ausgeblendet werden. Auf den anderen vier Kanälen läuft Werbung für das heutige russische Leben. Ein Werbespot jagt den nächsten, schlüpfrige Bilder voller bunter Joghurts, robuster Waschmaschinen und toller Rasierapparate. Irgendwie alles sehr nass.
    Sogar meine Kinder, die dem Fernsehen als Medium noch nicht so
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