Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
zuständig war, sieht sehr durchtrainiert aus. Nicht das Kino, der Sport ist seine heimliche Leidenschaft. Das hat schon im Kindergarten angefangen. Seine Auffassung vom Leben war dann auch eine sportliche, genauer gesagt: eine leichtathletische. Es ging stets darum, in der besten Zeit und als Erster ins Finish zu kommen und dabei so wenige Hürden wie möglich umzustoßen. Bereits mit sechs Jahren fing er an, sich professionell mit Sport zu beschäftigen, und seine Mutter, selbst eine leidenschaftliche Schwimmerin, brachte ihn zum Schwimmunterricht. Sie selbst schwamm sogar bei der Landesmeisterschaft für Weißrussland, und mehrmals verteidigte sie die Ehre ihrer Stadt in regionalen Wettbewerben.
    Vitali hatte beim Schwimmunterricht eine wunderbare Trainerin, die Freundin seiner Mutter. Er schwamm drei Jahre unter ihrer Führung, dann wurde die Trainerin jedoch in eine andere Schwimmhalle versetzt, und Vitali hatte keine Lust, mit einer neuen Trainerin von vorne anzufangen. Er hörte auf zu schwimmen und machte den üblichen Rundgang durch alle Sportarten, die bei der weißrussischen Jugend besonders populär, beinahe schon Pflicht waren. Vitali ging zum Basketball-, zum Leichtathletik- und schließlich zum klassischen Kampftraining, mit dem er allerdings schon nach drei Tagen wieder aufhörte. Den Anblick schwitzender Männer, die auf dem Boden herumkrabbelten und einander in den Schwitzkasten nahmen, hielt er nicht aus und musste sich prompt übergeben. Er suchte weiter nach einer schönen und möglichst geruchlosen Sportart. Sein Vater brachte ihn daraufhin zum Eishockey, wo Vitali gleich am ersten Tag mit der Zunge am Tor festklebte.
    »Das passiert hier jedem zweiten Anfänger«, beruhigte sein Trainer den Vater.
    Als Eishockeyspieler brachte es Vitali ziemlich weit. Er spielte für die weißrussische Jugendmannschaft, fuhr durch die ganze Sowjetunion, bekam Medaillen und jene speziellen Coupons, die jungen Sportlern eine verbesserte Ernährung in allen Staatskantinen des Landes garantierten. Leider gab es auf diese Coupons weder Alkoholisches noch sonst etwas Spaßmachendes. Es ging nur um leistungssteigernde Ernährung. Aber Not macht erfinderisch, und so verkauften die jungen Sportler ihre wertvollen Coupons in den Kantinen für mickrige drei Rubel das Stück und kauften sich von dem Geld das wirklich Notwendige.
    Eishockey lohnte sich. Trotzdem verzichtete Vitali, als er vor die Wahl gestellt wurde, auf eine Karriere als Profisportler und entschied sich stattdessen für das zivile Leben. Er blieb aber ein phantastischer Sportsfreund. Ganz egal, wohin ihn sein Schicksal verschlug, er machte seine Übungen zur Stärkung der Bauchmuskulatur, er sprang übers Seil, und er joggte. Zu seinen Joggingrouten gehörte beinahe die halbe Welt. Er ist in Kiew gejoggt, in Madrid, in Vechta, in Hamburg, in Berlin. Er ist sogar in Moskau gejoggt. Aber noch nie im Nordkaukasus. Er war überhaupt noch nie in dieser Gegend gewesen, abgesehen von einem Busausflug seines Pionierlagers am kaukasischen Gebirge entlang. Aber das war schon so lange her, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte. Deswegen freute sich Vitali jetzt besonders auf die neuen kaukasischen Laufrouten.
    Kaum im Hotel »Perle des Kaukasus« angekommen, zog sich Vitali Sportswear und Turnschuhe an und ging durch die Bergstadt Schelesnowodsk den Berg hoch, um dort zu joggen. Unsere Tonassistentin Tamara kam mit. Auch sie war eine leidenschaftliche Sportlerin. Allein Luis, der Regisseur unseres Films, blieb im Hotel. Er war gerade mit dem Festhalten seines Waschbeckens voll beschäftigt und konnte nicht einfach loslassen. Er hatte sich gleich beim ersten Gang ins Badezimmer versehentlich an das Becken gelehnt und war von den nur locker verschraubten kaukasischen Sanitäranlagen überrascht worden. Das Waschbecken fiel ihm quasi in die Hand. Im Kaukasus wird so gut wie nichts festgeschraubt – die Menschen hier vertrauen einander. Dementsprechend sind auch die meisten Waschbecken nur leicht an der Wand befestigt, und man darf sich nicht wie in Deutschland auf ihnen aufstützen.
    Vitali und Tamara joggten inzwischen schnell den ersten Berg hinauf und wieder hinunter, dann wieder hinauf und wieder hinunter. Oben schien die Sonne, unten blitzte ein kleiner See, links und rechts davon war bis an den Horizont die Steppe zu sehen. Hohes Gras mit kleinen bunten Blümchen, die langsam welkten. Ein Sinnbild der Freiheit: eine schöne, absolut leere Landschaft. Keine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher