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Feuerscherben

Feuerscherben

Titel: Feuerscherben
Autoren: Jasmine Cresswell
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PROLOG
    Vermont, November 1987
    Behutsam richtete er sich aus der Hocke auf und spähte durch das Fenster ins Wohnzimmer des Blockhauses. Claire hatte es nicht für nötig gehalten, die Vorhänge zu schließen, und er konnte sie deutlich sehen, obwohl das Deckenlicht nicht eingeschaltet war. Sie saß auf einem weißen Schaffell vor dem Kamin, hatte die Arme um die Knie geschlungen und starrte in die züngelnden Flammen. Die brennenden Ahornscheite warfen einen rosa Schein auf ihre blassen Wangen und verliehen ihrem blonden Haar einen rötlichen Schimmer. Bisher war ihm Claire immer zu dünn und zu groß vorgekommen. Heute Abend sah sie dagegen so hübsch aus, dass es ihm beinahe leidtat, sie töten zu müssen. Beinahe.
    Er zog die Schultern in die Höhe, um seine verkrampften Muskeln zu lockern. Seine Arme schmerzten von dem Gewicht der beiden riesigen Benzinkanister, die er von der Lichtung herübergetragen hatte, wo sein Jeep geparkt war. Er hatte geglaubt, zwei Kanister wären mehr als genug, um den Sockel des Blockhauses zu durchtränken. Doch bevor er die vierte Seite erreicht hatte, war sein Vorrat zu Ende. Das war allerdings nicht weiter schlimm. Die Nachtluft war kühl und trocken. Innerhalb weniger Minuten würde das Feuer das ganze Holzhaus erfassen. Er hatte es am letzten Wochenende an einem verfallenen Schuppen ausprobiert. Die Flammen hatten so gelodert, dass sogar die Feuerwehr in Middlebury ausgerückt war.
    Schon bei der Erinnerung an den Brand wurde es ihm heiß vor Erregung. Dutzende von Männern hatten stundenlang gearbeitet und geschwitzt, um die Glut zu löschen. Und alles nur seinetwegen. Es war großartig gewesen.
    Der stumme Beobachter unterdrückte seine freudige Erwartung. Er schob die Hände in den Schutzhandschuhen unter die Achselhöhlen und wartete auf den richtigen Moment, um das Feuer zu legen. Endlich rieb er den feuchten Beschlag von seinem Atem von der Fensterscheibe, blickte ins Innere und sah Jon Kaplan mit einer Flasche Champagner und zwei langstieligen Gläsern aus der Küche kommen. Claire war gestern achtzehn geworden und hatte offensichtlich beschlossen, heute Nacht ihre Jungfräulichkeit aufzugeben. Kaplan war der einsneunzig große Dummkopf, den sie zu diesem Zweck für das Wochenende in das Blockhaus eingeladen hatte.
    Der stumme Beobachter lächelte über die Ironie des Schicksals. Kaplan mochte zwar kurz davor sein, bei Claire einen großen Treffer zu landen, aber er würde nicht mehr damit prahlen können.
    Er lachte auf und dämpfte den Laut rasch mit seinem Schal. Benzingeruch stieg ihm in der kühlen Bergluft in die Nase, und seine Haut begann zu prickeln. Gleich ist es so weit, dachte er. Claire und Kaplan waren restlos mit sich selber beschäftigt. In wenigen Minuten konnte er das erste Streichholz entzünden. Lustvoll zog sich sein Inneres zusammen. Es war ein seltsames Gefühl, das ihn gleichzeitig elend machte und verwirrte.
    Jon setzte sich neben Claire auf das Schaffell und stellte den Champagner und die Gläser zwischen seine Knie. Lächelnd sah Claire zu ihm auf. Durch eine seltsame Täuschung des Lichts hatte der stumme Beobachter den Eindruck, sie blicke nicht Jon an, sondern zu ihm hinüber. Verärgert runzelte er die Stirn und fühlte sich plötzlich gar nicht mehr so wohl. Er stieß mit dem Fuß an einen Haufen Pulverschnee und ärgerte sich über die Empfindungen, die ihn tief im Innern quälten. Na gut, Claire lächelte süß und unschuldig. Das bedeutete aber nicht, dass sie am Leben bleiben musste. Er hatte mehr als einen Grund, sie umzubringen. Er verabscheute scheinheilige Menschen, und Claire war längst nicht so harmlos, wie sie vorgab. Frauen wie sie verwechselten ständig Sex und Liebe und gaben den Männern die Schuld, wenn die Beziehung sich nicht so entwickelte, wie sie erwarteten. Sie war nicht besser als die andere. Sie war eine Hure. Ihre Mutter war eine Hure. Alle Frauen waren Huren, und er hasste sie samt und sonders.
    Erneut runzelte er die Stirn und blickte in das Zimmer. »Wenn er es genau bedachte, tat er Claire sogar einen Gefallen, wenn er sie umbrachte. Er würde sie vor den Enttäuschungen bewahren, die unweigerlich folgten, sobald sie herausfand, wie das Leben wirklich war. Da war es schon besser, sie starb in Würde, bevor die Wirklichkeit ihre Träume zerstörte. Vielleicht konnte er das Feuer zeitlich so legen, dass sie während ihres ersten Orgasmus starb, damit sie die Welt auf einem echten Höhepunkt verließ.
    Er sah,
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