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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter
Autoren: Wladimir Kaminer
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die Wassermelonenmänner, die sie schon wieder beschissen haben. Nicht selten riechen ihre Wassermelonen beim Aufschneiden nach Brackwasser.
    Unser Onkel Joe lächelt über die Unfähigkeit seiner Nachbarn, die richtige Melone zu finden. Er selbst benutzt all die ausgeklügelten Taktiken so gut wie nie, und trotzdem schmeckt jede Wassermelone, die er anfasst. Die Nachbarn beneiden ihn, sie halten ihn für ein Melonengenie. Ich denke jedoch, dass Melonen ihn einfach mögen. Auch Beeren haben ein kollektives Gedächtnis. Sie wissen, dass Onkel Joe viele Jahre in der Kolchose »Morgenröte des Kommunismus« als Wassermelonenesser arbeitete, die Kerne sammelte und auf diese Weise Tausenden, ja Millionen von Wassermelonen neues Leben schenkte. Dafür lieben sie ihn. Kaum streckt Onkel Joe die Hand in Richtung eines Melonen-LKWs aus, schon rollen ihm die richtigen entgegen. Die süßesten, die tollsten Wassermelonen wedeln mit dem Schwänzchen und fallen dem Onkel in die Hände.
    Abends, wenn die Hitze nachlässt und es langsam zu dämmern beginnt, versammelt sich die ganze Familie dann auf dem Hof, wo die erste riesige Wassermelone bereits auf dem Tisch wartet. Onkel Joe nimmt das Messer und schneidet die Wassermelone artgerecht auseinander. Dabei benutzt er eine spezielle Technik, um sie so wenig wie möglich zu verletzen. Im Kaukasus glaubt man nämlich, dass eine Wassermelone nur längs und niemals quer aufgeschnitten werden darf, sonst verliert sie an Süße. Bei den kaukasischen Chilischoten ist es ähnlich: Die längs geschnittene schmeckt süß, die quer geschnittene dagegen unglaublich scharf. Ich habe es zuerst nicht glauben wollen, wurde dann aber im eigenen Maul eines Besseren belehrt. Dem hiesigen Aberglauben zufolge wehrt sich der Chili, wenn man ihn falsch aufschneidet, und macht sich aus Rache selbst ungenießbar. Das ist aber wieder eine ganz andere Geschichte.
     

 
5 -
Feste feiern im Kaukasus
     

     

In der Sowjetunion, wo ich herkomme, mangelte es nie an Anlässen für Feiern und Feste. Fast jeder Tag war ein Feiertag, der zwar nicht eine Befreiung von der Arbeit versprach, dafür aber als Aufhänger für ein gemeinsames Essen mit Freunden und Familie gut war. Die meisten Feiertage galten den Berufsgruppen, mit denen man eine besondere Romantik des Schaffens verband: der Tag der Geologen, der Tag der Polarforscher, der Tag der Kosmonautik. So hatte jede Familie, je nach Beruf der Eltern, ihre eigenen Feste. Meine Mutter unterrichtete zum Beispiel an einer Hochschule Festigkeitslehre, mein Vater war Ingenieur in einem Betrieb der Binnenschifffahrt. Deswegen wurden bei uns zu Hause zum Tag des Lehrers und zum Tag des Seemanns Gäste eingeladen, und es wurde viel gekocht. Ich erinnere mich außerdem, wie mein Vater versuchte, zusätzlich noch den internationalen Tauchertag als Pflichttermin in der Familie zu etablieren. Er scheiterte aber an meiner Mutter, die kühn und treffend argumentierte, mein Vater könne gar nicht tauchen, höchstens in der Badewanne mit einer Gurke im Mund. Mein Vater bestritt das, gab aber letztlich auf, weil er grundsätzlich in Streitfragen nachgab. Er ging aber bei jeder Gelegenheit zu Nachbarn und Freunden, wenn diese etwas zu feiern hatten – was, war ihm egal. Manchmal besuchte er seine Freunde auch ohne Einladung, um ihnen zum Tag der Ärzte, des Polizisten, des Bahnarbeiters oder des Geologen zu gratulieren. Das Feiern lag ihm im Blut.
    Der sozialistische Staat unterstützte das Zelebrieren dieser Arbeiterfeste nach Berufsgruppen. Dadurch wurde dem Volk vermittelt, dass jede Arbeit gleich wertvoll war und zu mehr als bloßem Geldverdienen taugte. Aus ihrer Arbeitsleistung, deren Früchte fast ausschließlich der Staat erntete, sollten die Bürger der Sowjetunion die Grundlagen ihrer Existenz, ihren Stolz und ihre Rechte schöpfen. Man muss dazu wissen, dass dieser Staat als Zusammenschluss verschiedener Berufsgruppen gedacht war, ein Bündnis aus Arbeitern und Bauern, Ingenieuren und Künstlern. Als es mit dem Bündnis auf Dauer nicht klappte und die Sowjetunion von der Karte verschwand, gerieten auch die meisten Feiertage von früher in Vergessenheit. Zumindest werden sie heute in den Fernsehnachrichten nicht mehr so groß an die Tafel geschrieben.
    Zu Hause darf heute jeder feiern, wann und was er möchte – wenn er nur genug Geld und Zeit dafür hat, zwei nun rare Güter der Neuzeit von unschätzbarem Wert. Aus der alten Zeit ist offiziell nur der revolutionäre
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