Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
angeht, so hatte ich keinerlei Bedenken; wenn die Literatur es erforderlich macht, würde ich einen ganzen Staat verlegen.
    Für einen Jungen war sie ein himmlischer Ort, diese Farm meines Onkels John. Das Haus war ein doppeltes Blockhaus mit einem geräumigen (überdachten) Gang, der es mit der Küche verband. Im Sommer wurde der Tisch mitten in diesem schattigen und luftigen Gang gedeckt, und die üppigen Mahlzeiten – ach, ich muss weinen, wenn ich nur daran denke. Gebratenes Hähnchen; Schweinebraten; wilde und zahme Truthähne, Enten und Gänse; frisch erlegtes Wild; Eichhörnchen, Kaninchen, Fasane, Rebhühner, Präriehühner; selbstgeräucherter Speck und Schinken; heiße Kekse, heiße Rührkuchen, heiße Buchweizenkuchen, heißes Weizenbrot, heiße Brötchen, heißes Maisbrot; frisch gekochte Maiskolben, Bohnen-Mais-Eintopf, Limabohnen, Stangenbohnen, Tomaten, Erbsen, irische Kartoffeln, Süßkartoffeln; Buttermilch, frische Milch, Sauermilch; Wassermelonen, Zuckermelonen, Cantaloupe-Melonen – alles frisch aus dem Garten –; Apfelkuchen, Pfirsichkuchen, Kürbiskuchen, Apfelknödel, Pfirsichauflauf – an den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern. Wie die Dinge zubereitet wurden, war vielleicht das Herrlichste daran – besonders bei einigen Speisen. Zum Beispiel dem Maisbrot, den heißen Keksen, dem Weizenbrot und dem gebratenen Hähnchen. Im Norden sind diese Dinge nie richtig zubereitet worden – ja, soweit ich das beurteilen kann, ist dort nicht einmal jemand in der Lage,diese Kunst zu erlernen. Im Norden glaubt man zu wissen, wie man Maisbrot backt, aber das ist ein grotesker Aberglaube. Vielleicht ist kein Brot der Welt so gut wie das Maisbrot in den Südstaaten und vielleicht kein Brot der Welt so schlecht wie dessen Imitation in den Nordstaaten. Im Norden versucht man sich nur selten daran, ein Hähnchen zu braten, und das ist auch gut so; nördlich der Mason-Dixon-Linie lässt sich diese Kunst nicht erlernen, und in Europa schon gar nicht. Das weiß ich nicht vom Hörensagen, sondern aus Erfahrung. In Europa bildet man sich ein, die Angewohnheit, einige Brotsorten glühend heiß zu servieren, sei »amerikanisch«, aber das ist zu allgemein gefasst: Es ist eine Angewohnheit im Süden, im Norden alles andere als das. Im Norden wie in Europa gilt warmes Brot als ungesund. Dabei handelt es sich vermutlich um einen genauso ausgeklügelten Aberglauben wie bei dem europäischen Aberglauben, Eiswasser sei ungesund. Europa braucht kein Eiswasser, deswegen trinkt es auch keines; nichtsdestotrotz ist das europäische Wort dafür besser als unseres, denn es trifft die Sache, unseres dagegen nicht. Die meisten europäischen Sprachen nennen es »eisgekühltes« Wasser. Unser Wort umschreibt Wasser aus geschmolzenem Eis – ein Getränk, das einen nichtssagenden Geschmack hat und mit dem wir kaum Bekanntschaft machen.
    Ich finde es bedauerlich, dass die Welt so viele gute Dinge ablehnt, nur weil sie ungesund sind. Ich bezweifle, dass Gott uns irgendetwas geschenkt hat, was, in Maßen genossen, ungesund ist, ausgenommen Mikroben. Trotzdem gibt es Menschen, die sich alles und jedes Essbare, Trinkbare und Rauchbare, das sich einen zweifelhaften Ruf erworben hat, strengstens versagen. Diesen Preis zahlen sie für ihre Gesundheit. Und Gesundheit ist alles, was sie dafür bekommen. Wie seltsam das ist. Als verschleudere man sein gesamtes Vermögen für eine Kuh, die keine Milch mehr gibt.
    Das Farmhaus stand inmitten eines sehr großen Gartens, und der Garten war auf drei Seiten von einem Lattenzaun und auf der Rückseite von hohen Palisaden umgeben; davor stand das Räucherhaus; hinter den Palisaden war der Obstgarten, und hinter dem Obstgarten lagen die Negerquartiere und die Tabakfelder. In den Vorgarten gelangte man über eine Stiege aus abgesägten Holzklötzen in unterschiedlicher Höhe; an ein Tor kann ich mich nichterinnern. In einer Ecke des Vorgartens wuchsen ein Dutzend hohe Hickorybäume und ein Dutzend schwarze Walnussbäume, und zur Erntezeit konnte man dort ganze Reichtümer auflesen.
    Etwas weiter unten, auf gleicher Höhe mit dem Haus, stand vor dem Lattenzaun eine kleine Blockhütte, und dort fiel der bewaldete Hügel steil ab – an den Scheunen, dem Maisspeicher, den Stallungen und der Tabakdarre vorbei – zu einem klaren Bach, der über sein kiesiges Bett hinwegmurmelte und sich im tiefen Schatten überhängender Zweige und Reben hin und her wand und hierhin und dorthin hüpfte – ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher