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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition
Autoren: M Twain
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allerselbstverständlichste Methode für sein Vorhaben (bei ihm kommen einem alle Methoden wie die simpelsten Selbstverständlichkeiten vor), er beginnt nämlich, sozusagen ein Tagebucherzähler, jedes Mal mit dem, was der Tag, der nun ist, bringt, er berichtet vom Tage; und während er das tut, schweift er, zufällig, mutwillig, irgendwoher oder irgendwohin angeregt, weit vom Tag ab zu irgendwelchen Geschichten von damals, und was immer dabei an Erzähltem herauskommt, nachher und im Lauf der Zeit, und wenn der Zuhörer den richtigen Spaß dabei gefunden hat, wird das Erzählte immer deutlicher zu jener Lebensgeschichte, um die es geht. Während noch der Tag, an dem erzählt wird, seine eigne Gegenwart gewinnt, füllt er sich schon mehr und mehr und schöner und schöner mit der Gegenwärtigkeit des erzählten Lebens von damals auf.
    Es scheint durcheinanderzugehen wie beinahe bei Sterne, dessen Tristram Shandy alle ermüdende Ordnung vernachlässigt, und zwar gleich von Anfang an, nämlich indem er nicht, wie ein ordentlicher Autobiograph, etwa bei seiner Geburt beginnt, sondern neun Monate vorher, bei seiner fast verunglückten Empfängnis, als die Uhr nicht schlägt: da kann dann nichts mehr gehen, wie es bei ordentlichen Leuten geht. Mark Twain liebte Sterne; Tristram Shandy ist aber ja eine fiktive, eine erfundne Person, kaum ein gutes Vorbild also, sollte man denken, für einen, der sein wirkliches Leben erzählen will.
    Aber Mark Twain wusste, dass sein gleichsam persönliches Überdauern jener hundert Jahre wesentlich an seinen Romanen hing, am Mississippi und Missouri, an Tom Sawyer, an Huckleberry Finn und all ihren Freunden; und öfter in seiner Lebenserzählung, wenn er an bestimmte Jugendgeschichten gerät, erinnert er den Leser daran, wie der diese Geschichten schon einmal erzählt bekommen habe in jenen Romanen, von denen ja jeder auch schon wusste, dass sie ebenso sehr eigne wie erfundne Geschichten waren, erzählteGeschichten. Und wenn er nun also sein eignes Leben erzählte, so war dieses Leben auch das einer fiktiven, schon erzählten halb erfundnen Figur; zwar war das kein ganz und gar erfunden erst in die geschriebene, dann in die wirkliche Welt gesetzter Tristram Shandy, aber doch eben immer auch noch etwas andres als bloß der, der da erzählte, immer auch noch ein Tom Sawyer, ein Huckleberry Finn.
    Es ist klar, und ist natürlich auch jedem Leser klar, das der Lebenserzähler jetzt, wenn er von Präsidenten, von Geschäftsleuten, von seiner Familie, von Reisen und Reportagen und Vorträgen erzählt, ein andrer ist als bloß ein erwachsen gewordener Held seiner Romane. Aber klar ist eben auch, dass kein Leser diesen Zusammenhang jemals ganz aus dem Kopf verlieren würde, deshalb konnte man ihn ja auch ruhig von Zeit zu Zeit daran erinnern. Und nun war beides zauberhaft: wenn erst derselbe wunderbare Schimmer der unbedenklich leichten Ungezwungenheit auf den alten Büchern und der jetzigen Erzählung lag, und nun obendrein das Licht der jetzt erreichten Zeit des zusammenfassenden Erzählens auch das Damals noch einmal beleuchtete. Und dieser Zauber, daran wird der diktierende Alte mit schöner Gewissheit geglaubt haben, werde auch in hundert Jahren noch wirken.
    Als er irgendwann in diesem ersten Band auf seine Familie kommt, erzählt er ausführlich von seiner so sehr geliebten ältesten Tochter Olivia Susan, Susy genannt. Er erzählt, wenn man genauer hinsieht, genauer als er selber, lauter solche Geschichten, wie Eltern sie gern, und mit Recht, es sind wahre schöne Geschichten, von ihren Lieblingskindern erzählen, von klugen frühreifen weisen Sachen, die sie gesagt haben, von schönen Dingen, die sie getan haben, und so weiter. Mark Twain erzählt gerührt, alles was er da erzählt ist so ganz anders als was er je von sich in Büchern hatte erzählen können, und dann kommt hinzu, dass diese so geliebte begabte und fast so gegenbildnerische Tochter, lange schon kränkelnd, starb, mit 24 Jahren, er war grade auf Vortragsreise um die Welt.
    Noch als junger Teenager hatte Susy angefangen, so etwas wie eine Biographie ihres berühmten Vaters zu schreiben, im Grunde wohl so etwas wie das wahre Leben und Wesen ihres Vaters, der sich niemals dagegen gesträubt, sondern eher alles dafür getan hatte, die legendäre Verkörperung amerikanischenHumors zu sein (ungeachtet aller profunden Kritik, die er an den Verhältnissen übte, unerschrocken übte, und natürlich nun erst recht und mit allen
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