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Meine Frau will einen Garten

Meine Frau will einen Garten

Titel: Meine Frau will einen Garten
Autoren: Gerhard Matzing
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unserem Haus, dessen Schwarz mir plötzlich fürchterlich ins Gemüt fährt. Um dieser Stimmung zu entkommen und um nachzusehen, warum unsere Möbel nicht nach Obermenzing einreisen dürfen, fahre ich zurück in die Ismaninger Straße. Unterwegs begegne ich dem Möbelauto, kehre um und komme gerade rechtzeitig ins Haus, um zu sehen, wie vier schwer schwitzende Möbelpacker das Klavier so über unsere Filigrantreppe aus Sichtbeton wuchten, dass sie garantiert jede Stufenkante erwischen.

    Zwölf Stufen verlieren tatsächlich ihre scharfen Kanten, auf denen Pia bestanden hat, während die Baufirma abgeraten hatte. »Beim Umzug«, hat Wumme vor wenigen Wochen noch gesagt, »geht das alles kaputt.« »Blödsinn«, hat Pia geantwortet. Jetzt sehen wir, dass alles kaputt geht. Houdini sagt: »Ganz schön eng hier.« Der Berliner sagt: »Die Altbauwohnung war doch prima, wa?« Ich sage: »So isses.« Dann sehe ich die blauen Streifen an der Wand. Vor einer Woche hat Pia die Malerfirma zum dritten Mal anrücken lassen, weil sie immer noch winzige Spuren mangelnder Höchstpräzision an ihren reinweißen Wänden entdeckt hat - und jetzt ziehen sich wellenartige blaue Streifen vom Erdgeschoss bis zum Klavier oben vor Julias Zimmer. Houdini sieht an seinem blauen verschwitzten T-Shirt runter und sagt: »Ganz schön eng hier.«
    Es wird spät. Mitten in der Nacht kommt die Spedition mit der zweiten Fuhre. Eine reicht nicht. Ich kenne einen leicht esoterisch angehauchten, extrem netten Schreiner, der mal im Selbstversuch ausprobieren wollte, worauf er alles verzichten kann. Er sperrte sich für einen Monat in seine Wohnung und warf jeden Tag Dinge zum Fenster raus in den Hof. Nach dreißig Tagen lebte er mit einer Matratze, einem Stuhl, einem Bleistift, einer Zahnbürste, einem T-Shirt, einer Jeans, einer Unterhose und einem Wasserglas. Behauptete er. Man kann’s auch übertreiben.
    Während ich die Packer dirigiere, die sich nicht dirigieren lassen, fällt mir dieser erleuchtete Schreiner
wieder ein, und mir ist, als würde gerade jemand seine Habseligkeiten wie aus einem großen Fenster in mein Leben schmeißen, das sich immer weiter anfüllt. Die Dinge steigen wie Wasser und werden mir bald bis zum Hals stehen. Ich fühle mich wie ein Nichtschwimmer in Pias Dinge-Ozean.
    Ich bin mit einem Mal total sauer. Es ist Nacht. Die Packer zertrümmern unser neues Haus. Ich will Pias Kisten nicht. Pia sagt, dass ich die Kinder nicht will, bloß weil ich finde, dass sie zu viel Spielzeug haben. Ich sage, dass ich bloß Obermenzing nicht will. Julia wacht auf, notdürftig in ihrem neuen, nach Farbe riechenden Zimmer zur Nacht gebettet, und will wissen, was los ist. Sie weint. Anton wacht auch auf, findet sich im Dunkeln nicht zurecht und fällt die halbe, schon völlig ramponierte Treppe runter, wo er gegen eine Truhe prallt, die keinen Platz mehr findet in unserem neuen Leben. Er weint. Max kommt dazu und findet alles toll. Die Packer maulen irgendetwas von »Versicherungsfall«, Pia schreit »Blödsinn«, und ich würde am liebsten sofort ins Hotel ziehen. Da klingelt es.
    Es ist ein fürchterliches Spießergeräusch, eine Klingel aus dem Baumarkt, »wie geschaffen für ein Haus am Stadtrand«, sage ich zu Pia, die jetzt auch heult. Draußen steht Nachbar Mike, wortlos wie immer, mit zwei kühlen Flaschen Bier in der Hand. Die Kinder nimmt er mit rüber, wo sie im Wohnzimmer auf dem Sofa friedlich einschlafen. Pia und ich prosten einander zu und nehmen uns in den Arm. »Das wird schon«, sage ich,
»Obermenzing und ich werden schon noch Freunde.« - »Und ich«, sagt Pia, »wäre sofort bereit, wieder in die Stadt zu ziehen, damit es dir besser geht.« Sie weiß, dass wir nie mehr irgendwohin ziehen werden. Allein der Gedanke ans Möbelkistenpacken würde uns auf der Stelle umbringen.

    Die erste Nacht im neuen Heim ist kurz und unruhig, die zweite Nacht ist kurz und unruhig, die dritte ist mittel, und in der vierten Nacht schlafe ich erstmals acht Stunden am Stück. Die Fieberzäpfchen sind aufgetaucht, der Akkuschrauber ist an seinem Platz, die Kinder haben sich schon mit anderen Kindern angefreundet, Mike weiß, wie man Regale zusammenschraubt, und Pia arbeitet wie eine Besessene. Der Kistenberg im Keller schmilzt wie Grönland im Klimawandel. Unser Klima wandelt sich auch. Pia lebt sich ein, ich lebe mich ein, die Kinder: kein Problem. Die Lage bessert sich.
    Wir müssten jetzt nur noch rausfinden, wie man die Herdplatte ankriegt.
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