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Meine Frau will einen Garten

Meine Frau will einen Garten

Titel: Meine Frau will einen Garten
Autoren: Gerhard Matzing
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Fernsehempfang so schlecht ist wie Obermenzing kabellos. Das Internet ist langsam hier und gibt einem das Gefühl von Grenzland. Aber das macht nichts. Ich genieße den Garten. Pia liegt dort zum ersten Mal seit Monaten entspannt in der Hängematte. Sie liest Zeitung, ich will wissen, was drinsteht. Sie antwortet nicht. Ich gehe zu ihr hin. Sie studiert den Immobilienteil. Sie sagt, sie suche eine
zentral gelegene Mietwohnung in Schwabing oder in der Au. Sie strahlt mich an mit ihren grünen Augen. Ich weiß nicht, ob sie Spaß macht. Bei Pia weiß ich das nie. Deshalb liebe ich sie ja.
    Wir gewöhnen uns ein, jeden Tag ein bisschen mehr. Die Gräuliche hat uns ein Haus nach dem Grundsatz »Weniger ist mehr« entworfen, das wunderschön ist, meine Kinder stopfen es täglich voll mit Kram und finden, dass nur mehr wirklich mehr ist. Pia gibt ihnen recht und zugleich die Ordnung im Haus auf. Ich kapituliere und denke mir, dass meine Nachwelt sich um die 500 Kartons kümmern soll, die eines Tages von Pia und mir übrigbleiben.
    Die Nachbarn haben sich mit dem Haus abgefunden. Die meisten sind nett. Es wird nicht ununterbrochen gegrillt und auch nicht ununterbrochen gemäht. Auch hier gibt es, sieh an, einen Bäcker, eine Bank und eine Eisdiele. Unsere Freunde fahren gerne zu uns »aufs Land«. Es wird Herbst, und der gehört dem Gartenfreund. Also mir. Es ist ein herrlicher, goldener Oktober. Pia verbringt die warmen Nachmittagsstunden, sobald sie Zeit hat, gern im Garten und mixt mir, ihrem Gärtner, samstags pünktlich zum Sonnenuntergang einen Tonginic, mit dem ich dann immer Sven hochleben lasse. Amelie und Klaus kommen vom Ammersee, sagen: »Ganz hübsch, nur ohne See.« Meine Mutter kommt. Mein Schwiegervater kommt, sagt: »Ganz hübsch, nur ein bisschen schmal« und schenkt mir einen prima Rasenmäher. Einen, den er extra ausgesucht hat. »Man kann ihn vertikal
in den Schuppen stellen«, sagt er mir zur Übergabe. Ich fühle unendliche Dankbarkeit. Ich blühe auf, ich entdecke mein Vorort-Gen, die Vorzüge schmaler Vertikalität und die Lust, ein Kleingrundbesitzer zu sein. In einem Interview in einer Filmzeitschrift sagt Clint Eastwood: »Land ist etwas, womit ich etwas anfangen kann.« Ich habe das Gefühl, er sagt das zu mir.
    Hinten, am Gartenhaus, das den Obermenzinger Gartenhauskrieg überstanden hat, fiept Schweini, der noch nicht von wilden Vorortbestien zerrissen wurde, aber dafür seinen Freund Poldi vermisst, den wir schon bald nach dem Umzug im Garten begraben mussten. Er, nicht ich, hat den beschwerlichen Zug an die Grenzen der Zivilisation nicht überstanden. Armer alter, allzu alter Poldi. Arme kleine Julia, die hofft, dass Poldi nun in einem Gurken- oder Kopfsalatparadies lebt.
    An seinem Grab, auf das Julia eine weiße Dahlie gepflanzt hat, denke ich zum ersten Mal: Man braucht vielleicht nicht im Leben, aber dafür im Tod ein Stück Erde zum eigenen Glück. Komischerweise macht mich dieser Gedanke nicht traurig, sondern erst so richtig zufrieden. Wir haben einen Poldi begraben, der von sich hätte sagen können: »Begrabt mein Herz an der Biegung zum Komposthaufen.« So was können nur Gartenbesitzermeerschweinchen sagen.
    Es ist schön in Obermenzing am Blumenauer Weg in einem Haus, das der Feind aller Chipstüten ist. Schnell ist alles zu klein. Es ist immer alles zu klein im Leben. Das macht nichts.

    Pia nimmt mich an der Hand, wir gehen zu den Apfelbäumen hinaus, und sie sagt: »Schön.« Dann kommt Max dazu und fährt mit seinem Plastikbulldog gegen den zarten Stamm. Der Baum sinkt tödlich getroffen zur Seite. Es ist sein Baum. Der Baum, den sein Vater für ihn gepflanzt hat. Wir sind entsetzt. Max kreischt vor Vergnügen. »Warum tust du das, du Hool?« Pia brüllt. Die Nachbarn gucken. Max sagt: »Weil.«

    Das ist die Antwort. Warum ich all das getan habe? Wozu die lange Suche nach dem richtigen Haus? Die Sorge ums Geld? Der Wahnsinn der Architektur? Die Absurdität der Behörden? Warum Sehnsüchte und Enttäuschungen, warum das große Glaubeliebehoffnung des Hausbauens und Apfelbaumpflanzens?

    Weil.

»Danke für dieses schöne Haus, danke …« Das Dumme an Danksagungen ist, dass sie sich oft wie Kirchenlieder anhören. Aber dann wäre dieses Dankeschön prinzipiell an Gott zu richten. Ich möchte allerdings den Architekten, Professor Andreas Meck, der unser Haus entworfen hat, nicht zum Größenwahn im Sinne seines (im 18. Jahrhundert lebenden) Berufskollegen Ledoux verleiten.
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