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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
Autoren: Vlada Urosevic
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ich ging weiter in die Küche.
    Dort saß bereits meine Cousine Emilia. Sie sah mich prüfend an, doch ich sagte nichts – weder von der Veränderung, die ich auf der Fotografie bemerkt hatte, noch von dem, was ich belauscht hatte. Ich streckte ihr nur die Zunge heraus und fing an, auf der Suche nach etwas Essbarem im Küchenschrank herumzustöbern.
    Das sind meine ersten Erinnerungen an meine Cousine Emilia. Wenn mir später die Elefanten in den Sinn kamen,redete ich mir ein, dass die Tiere während der Bombardierung aus dem Zoologischen Garten ausgebrochen waren und dass mir Emilia, die etwas davon wusste, den Wunsch eingab, sie zu sehen, um sie mir dann zeigen zu können. Doch wie groß war mein Erstaunen, als mir Jahre später die Chronik des Zoologischen Gartens unserer Stadt in die Hände fiel, verfasst von seinem ehemaligen Direktor, Professor Dudevski. Vergeblich suchte ich darin nach Informationen über die Elefanten bei Kriegsbeginn. Damals – so stand es in der Chronik – gab es im Zoologischen Garten Bären, Wölfe, Füchse und sogar einen Luchs, all diese Tiere waren in der Chronik aufgeführt, aber keine Elefanten. Die wurden erst viele, viele Jahre später erworben; ihr Transport in einem Zug mit einem Spezialwaggon war eine große Sensation in der Stadt, in der Abendzeitung wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, um die schönsten Namen für sie zu finden, und in der Nähe ihres Geheges wurde sogar ein kleiner Laden eröffnet, wo die Kinder Erdnüsse in kleinen Tüten kaufen konnten, um sie dann ihren Rüsseln hinzuhalten. Als ich jedoch die riesigen Dickhäuter gesehen habe, wie sie durch das Brachland hinter den letzten Häusern am Stadtrand stampften, hätte man Elefanten dort eigentlich überhaupt nicht antreffen dürfen.
    Und trotzdem sehe ich sie in meiner Erinnerung vor mir, wie sie zwischen den Kletten und hohen Disteln einherschreiten und die großen Blätter der Gewächse aus dem wilden Garten unserer Kindheit abreißen, während meine Cousine Emilia neben mir auf der trockenen Erde liegt und verstohlen kichert.
    Ich bin fest davon überzeugt, dass ich sie gesehen habe, so wie ich auch davon überzeugt bin, dass meine Cousine Emilia eigentlich eine kleine Hexe war.

D ER PFEIFENDE H UND
    In jenem Winter zeigte sich der pfeifende Hund zum ersten Mal. Es schneite, und durch die frostblaue Weite des Nachthimmels trudelte und schwebte alles Mögliche: erfrorene Fallschirmspringer, Flugzeuge ohne Piloten, Räder von Lokomotiven, die irgendwo an der Front explodiert waren, Radionachrichten, alte Lenkballons, Krähen. Es war Krieg, und in unserer Küche fand sich Abend für Abend die gesamte Verwandtschaft ein. Tagsüber war jeder in der Stadt unterwegs, um seine unverständlichen, geheimnisvollen Angelegenheiten zu erledigen, doch abends versammelten sie sich in unserer warmen, überfüllten Küche.
    Durch die entlegenen, von Schneewehen abgeschnittenen Vorstädte, an Militärposten und Absperrungen vorbei kämpfte sich Onkel Atanas auf seinem Fahrrad und traf dann verfroren und zum Eiszapfen erstarrt bei uns ein, es kam Tante Evdokia mit dem dicken Bauch, aus dem das schon so lange erwartete Baby einfach nicht herauskommen wollte, es erschien Opa Simon, das Familienoberhaupt, und es kamen die Kinder – meine Cousine Emilia in einem zerschlissenen Pelz aus Katzenfell –, die Onkel und Tanten, entfernte Verwandte, die schon in Vergessenheit geraten waren; sie alle kamen unddrängten sich in der warmen Küche. Das war eine Art Familienrat, das höchste Gremium innerhalb der Verwandtschaft, das nur in Ausnahmesituationen zusammentrat: im Krieg, bei Todesfällen und skandalösen Vorkommnissen innerhalb der Familie.
    Unsere Küche war der einzige beheizte Ort auf der Welt: Draußen war die Stadt blau vor Kälte, die Straßen wirkten zerbrechlich, als wären sie aus bemaltem Porzellan, und die Schritte der vereinzelten Fußgänger hallten auf ihnen wider wie unter einer Glasglocke. Drinnen hingegen, in unserer Küche, brannte im großen, rechteckigen Ofen ein Feuer. Holzscheite waren ein rares Gut, daher wurde er außerdem mit Papier beheizt: Wir verbrannten Briefe, Stromrechnungen, Einladungen zu lang zurückliegenden Maskenbällen und Ansichtskarten aus den Badeorten, in denen Opa Simon zur Kur gewesen war. Der Inhalt lange nicht geöffneter Schubladen dünnte aus. Auch Kalender aus längst vergangenen Jahren kamen an die Reihe, von den Onkeln gesammelte pornografische Darstellungen,
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