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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
Autoren: Vlada Urosevic
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Emilia einen Garten und ging von dort aus durch eine kleine Pforte in einen weiteren. Er war menschenleer. In einem der Gärten stand ein gedeckter Tisch, doch sowohl die Gastgeber als auch die zu dieser Mahlzeit geladenen Gäste waren verschwunden. Wespen surrten über den leuchtend weißen Tellern. Durch die Blumenbeete liefen Hühner und scharrten so heftig, dass die Erde umherflog, eher aus Boshaftigkeit als um Nahrung zu suchen: Offensichtlich hatte die Abwesenheit der Menschen eine törichte Verwegenheit in ihnen geweckt. Ein Huhn war sogar auf den Tisch geflogen und stolzierte wichtigtuerisch zwischen den Tellern umher. Als ich die Hand gegen das Tier erhob, gackerte es überrascht auf und flatterte herunter. Staub wirbelte auf.
    Der Lärm der Stadt rückte in immer weitere Ferne: Das Summen der Bienen, das Gackern der Hühner und das Schrillen der Zikaden legte sich darüber.
    Die Gärten wirkten immer verlassener. Manche waren von Gräsern überwuchert, viele Obstbäume waren verdorrt, zahllose Äste abgebrochen. Die Zäune waren an vielen Stellen durchlöchert, es fehlten Latten. Das Unkraut gedieh üppig, wild und verrückt, wie Schaum auf den Lippen eines Idioten, in dem riesige, maßlose Worte heranwachsen, ohne ausgesprochen werden zu können, und immer mehr anschwellen, bis sie in Größe und Form die Öffnung des Mundes übertreffen. Die Kletten und Disteln erreichten hier eine riesenhafte Größe; wir bahnten uns unseren Weg wie durch einen Dschungel. Zäh widersetzten sich uns die fleischigen Blätter, die Stängel voll klebrigen grünen Safts wollten uns nicht durchlassen. Über dem Dickicht lastete drückendeSchwüle, brummten plumpe Insekten, wogte die warme Luft.
    Hinter einigen umgestürzten Lattenzäunen hörten die Gärten schließlich auf: Von dieser bereits niedergerissenen Grenze an erstreckte sich das Reich der Stadtrandbrachen, das verwilderte Niemandsland der Dornengewächse.
    »Wir sind da«, sagte meine Cousine Emilia und gab mir ein Zeichen, dass wir uns auf den Boden legen sollten. Ich war überzeugt, dass dieses ganze Spiel zu nichts führen würde, aber in Emilias Miene lag etwas, das mich noch davon abhielt, dem Ganzen ein Ende zu setzen.
    Folgsam legte ich mich hin, meinen Gehorsamseifer ihr gegenüber ironisch übertreibend, und betrachtete das Gewimmel der Ameisen, die sich auf dem Weg zu nur ihnen bekannten Zielen durch das wundersame Dickicht kämpften. Die Erde roch nach verfaulten Früchten, nach angesengten Lumpen und tierischem Schweiß und nach etwas Namenlosem, das aufregend und geheimnisvoll war. Ich wollte Emilia sagen, dass das Spiel langsam albern werde und dass es für uns an der Zeit sei, nach Hause zu gehen, als sie meine Schulter berührte.
    »Da sind sie«, sagte sie.
    Sie sahen genauso aus wie auf der Fotografie in der Diele: Langsam und schwerfällig, wie Hügel, die sich in Bewegung gesetzt haben, schritten sie durch die hohen Gräser und das wuchernde Unkraut und schwenkten ihre Rüssel in einem beinahe feierlichen Rhythmus. Irgendwann waren sie nur noch hundert Meter von uns entfernt: Als wir unsere Köpfe hoben, konnten wir sie zwischen den scharfen Spitzen der Dornen und den samtigen Blättern der Brennnesseln hindurch sehr gut erkennen.
    »Elefanten«, sagte ich und traute meinen Augen noch immer nicht. »Genau wie auf der Fotografie!«
    Meine Cousine Emilia kicherte unterdrückt.
    »Lebendige Elefanten sind schöner als die auf Fotografien«, sagte sie, »oder?«
    Würdevoll, ernst, sich ihrer Größe bewusst schritten die Elefanten durch das Gestrüpp und rissen mit ihren Rüsseln von Zeit zu Zeit einen Busch heraus, um ihn sich ins Maul zu stecken. Es waren vier. Dann tauchte, sich zwischen den Großen hindurchdrängend, noch ein fünfter auf – ein Elefantenjunges, das auf lustige Art herumtorkelte und den Großen immer wieder zwischen die Beine geriet.
    Ich stützte mich auf die Hände, um besser sehen zu können.
    Doch da war plötzlich ein Geräusch zu vernehmen, und dann bemerkten wir das Flugzeug im Sinkflug. Es flog über die Elefanten hinweg und beschrieb danach einen Halbkreis über unseren Köpfen.
    »Er hat sie gesehen«, stieß ich panisch hervor.
    Es war, als spürten die Elefanten die Gefahr. Sie waren mit erhobenen Rüsseln stehen geblieben und drückten sich aneinander; das Elefantenjunge war zwischen ihren Beinen versteckt.
    Das Flugzeug kehrte zurück und flog immer tiefer. Sein Maschinengewehr ragte drohend aus seinem Bug hervor:
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