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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom
Autoren: Lone Frank
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ein elfjähriges Kind hatten. Die Kinder steckten mitten in der Pubertät mit all ihren Gefahren – Alkohol, Drogen, Sex, kurz gesagt Risikoverhalten, wie die Experten das nennen. Die Forscher wollten die Kinder genetisch testen und bis zum vierzehnten Lebensjahr beobachten, um zwei Fragen nachzugehen: Erstens, sind Kinder mit der kurzen SERT-Variante besonders anfällig für Risikoverhalten, und zweitens, spielen genetische Unterschiede eine Rolle dabei, wie Kinder reagieren, wenn ihre Umgebung zu verhindern versucht, dass sie in Schwierigkeiten geraten? 22
    Nach dem Gentest wurden die Kinder in zwei Gruppen geteilt. Die in der einen Gruppe blieben sich selbst überlassen, die in der anderen Gruppe wurden zusammen mit ihren Familien in ein Programm namens Strong African American Families, kurz SAAF, aufgenommen. In diesem Unterstützungsprogramm lernen Eltern, wie sie am Leben ihrer Kinder teilnehmen, und vor allem, wie sie ihnen Grenzen setzen – Psychologen bestätigen, dass das Programm wirkt. Wissenschaftlich ausgedrückt, hat das Programm einen positiven Effekt auf das Risikoverhalten der Kinder.
    Im Lauf der nächsten Jahre begannen die Kinder mit der kurzen SERT-Variante, die sich selbst überlassen waren, zu rauchen, Alkohol zu trinken und Sex zu haben. Und sie zeigten diese Verhaltensweisen doppelt so häufig wie die Kinder in der sich selbst überlassenen Gruppe, die zwei Kopien der langen SERT-Variante mitbekommen hatten.Anscheinend waren diese Kinder genetisch zu Risikoverhalten prädisponiert, eine Beobachtung, die perfekt zu den Annahmen der Forscher passte.
    Aber eine noch sensationellere Entdeckung erwartete sie. Sie kam aus der Gruppe, die in das SAAF-Programm aufgenommen worden war: Das Programm hatte einen erheblichen präventiven Effekt bei den »genetisch benachteiligten« Jugendlichen, aber nur geringe Wirkung bei den anderen. Bei beiden SAAF-Gruppen jedoch, den genetisch belasteten Jugendlichen und den anderen, bewegte sich das Risikoverhalten etwa auf demselben Level wie bei den Jugendlichen mit zwei langen SERT-Varianten, die nicht an dem Programm teilnahmen. Die Intervention wirkte eindeutig am besten bei denjenigen, die genetisch besonders sensibel – oder vielmehr besonders anfällig – waren.
    Vielleicht werden manche sich jetzt bekreuzigen, nervöse Zuckungen bekommen und Beschwörungsformeln gegen Stigmatisierung und gesellschaftliche Ausgrenzung murmeln. Aber genauso gut kann man sagen, solche Forschungsergebnisse widerlegten die Befürchtung, dass Verhaltensgenetik nur »schlechte« Gene identifiziere und Gründe liefere, manche Menschen als biologisch hoffnungslos minderwertig zu etikettieren. Im Gegenteil: Die Studie zeigt, dass gesellschaftliche Initiativen sich auszahlen, wenn die Probleme besonders schlimm sind. Es geht nicht darum, dass kleine Kinder getestet und abgestempelt werden, ob sie mehr oder weniger Hilfe brauchen. Vielmehr kann allein das Wissen, das wir aus neuen Genstudien gewinnen, festgefügte Vorstellungen erschüttern und die Politik verändern – zum Guten.
    Einige wenige Sozialwissenschaftler beginnen die neuen Möglichkeiten zu erkennen. Zu den ambitionierteren gehört die Kriminologin und Autorin Nicole Rafter; ihr Buch The Criminal Brain erschien 2008. Darin zeichnet sie die zweifelhafte Geschichte der biologischen Kriminologie nach, ihre Missverständnisse und ihre hoffnungslos unwissenschaftliche Grundlage. Aber in einer überraschenden Wendung kommt sie zu dem Schluss, dass moderne biologische Studien – wie die in Georgia – gut sein können. »Die heutige Biokriminologie … ist anders«, betontsie. 23 Die Verhaltensgenetik stelle den genetischen Determinismus der Vergangenheit auf den Kopf, mit erheblichen Konsequenzen.
    Rafter spricht positiv von einem neuen »biosozialen« Denken, das soziologisches und biologisches Verständnis integriere, warum Menschen so handeln, wie sie handeln. Die Biologen müssten das frühere medizinische Modell revidieren, wonach Verhaltensweisen – auch kriminelle – entweder gesund oder krank, normal oder abnormal seien. Die Sozialwissenschaftler wiederum müssten unvoreingenommen biologische Erkenntnisse in ihre Theorien einbeziehen. Wenn das geschehe, könnte es der wirksamste Weg sein, Programme ins Leben zu rufen, die Kriminalität durch die Behandlung sozialer Leiden bekämpfen. Wie Rafter in ihrem Buch schreibt: »Ich möchte die moderne Genetik in den fortschreitenden sozialen Wandel einbeziehen.«
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