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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom
Autoren: Lone Frank
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Verständnis der kulturellen und intellektuellen Vielfalt bei Menschen sein. Jedenfalls haben die Psychologen Matthew Lieberman und Baldwin Way von der University of California in Los Angeles einige Gedanken formuliert, welche Rolle genetische Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen dabei spielen könnten, wo in der Welt eine bestimmte Kultur Fuß fasst.
    Lieberman und Way haben die asiatische und die westliche Kultur verglichen. Sie haben die subtilen Unterschiede zwischen Japanern und Vietnamesen und zwischen Franzosen und Briten beiseitegelassen und sich auf den charakteristischen Unterschied konzentriert, den Heejung Kim schon untersucht hatte: Die ostasiatische Kultur ist kollektivistisch, die westliche individualistisch. Seit Jahrzehnten erforschen und beschreiben Anthropologen, wie das zum Ausdruck kommt, nun haben die beiden Psychologen beschlossen zu fragen, warum es so ist. Ist es nur Zufall, oder gibt es vielleicht eine biologische Grundlage?
    Ihre Hypothese lautet, dass die soziale Sensibilität den kulturellen Unterschied ausmacht. 27 Der Gedanke mag viele in den Ohren schmerzen, besonders Menschen mit hehren humanistischen Idealen. Aber Lieberman und Way stützen sich auf einige interessante Beobachtungen. Insbesondere untersuchten sie, ob sensible – oder anfällige – Varianten einer Reihe spezifischer Gene in den beiden großgefassten Kulturen unterschiedlich häufig vorkommen. Sie gingen Studien zur sozialen Anfälligkeit mit Blick auf drei ausgewählte Gene durch: die uns bereits bekannten Gene für MAOA und SERT sowie ein Gen für einen Rezeptor im Gehirn, der durch Opioide aktiviert wird. Alle drei Gene wurden in einer Variante gefunden, die nachweislich die Anfälligkeit für sozialen Stress erhöht, aber auch dafür sorgt, dass die Träger besonders empfänglich für die positiven Wirkungen ihrer Umgebung sind, wenn von dort ein hohes Maß an sozialer Unterstützung kommt.
    Lieberman und Way stellten fest, dass die sensiblen Varianten aller drei Gene zwei- bis dreimal so häufig bei Asiaten auftreten als bei Kaukasiern. Die Psychologen postulieren, dies bedeute, dass Asiaten aufblühen, wenn sie in hohem Maß soziale Unterstützung erhalten und gute soziale Beziehungen haben – was nun gerade in einer kollektivistischen Kultur am ehesten erreicht wird, wo die Individuen in ein starkes soziales Netz eingebunden sind. Das könnte erklären, warum zum Beispiel die Lehre des chinesischen Philosophen Konfuzius, dass die Familie und die Gruppe für ein Individuum am wichtigsten seien, überall in Asien Anhänger gefunden hat. Kaukasier hingegen werden von sozialer Zurückweisung und Ausgrenzung nicht so stark getroffen. Vielleicht sind deshalb Vorstellungen, dass die Bedürfnisse des Individuums Vorrang vor den Bedürfnissen der Gemeinschaft haben sollten, in Europa und der übrigen westlichen Welt so populär. Wie Lieberman zusammenfasst: »Wenn eine ausreichende Zahl von Gehirnen so disponiert ist, dass alle die gleiche Idee überzeugend finden, wird diese Idee wahrscheinlich über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg Bestand haben.« 28
    Das ist ein ganz anderer Ansatz als bei der traditionellen Kulturforschung. Man kann sich die bösen Vorwürfe, hier würden genetischerDeterminismus und Reduktionismus betrieben, in den einschlägigen Fachzeitschriften gut vorstellen. Aber die Frage ist, ob diese und ähnliche Forschungen zur Genetik der Kultur einen Umschwung in der Art ankündigen, wie wir über die Menschheit nachdenken, einen Umschwung, wie er auch an der Forderung des Sozialwissenschaftlers James Fowler nach einer »neuen Wissenschaft von der menschlichen Natur« zum Ausdruck kommt. Konkret sagt Fowler, keine Wissenschaft vom Menschen könne menschliches Verhalten und menschliche Kultur erklären, ohne die menschliche Biologie einzubeziehen, von den Genen bis zur Funktionsweise des Gehirns. 29
    Diese ganze Forschung und die Forscher, die sie betreiben, lenken uns zu einer eindeutig biologischen Betrachtungsweise des Menschseins. Diese Forschung gründet ihre Aussagen über das Wesen des Homo sapiens auf Erkenntnisse der Evolution, Genetik, Hirnphysiologie und von Kultur und Geschichte. Das ist etwas anderes als die Gegenüberstellung des biologischen und des kulturellen Menschen. Vielmehr ist hier das Ziel, zu einer Integration zu gelangen, die alle Ergebnisse menschlichen Verhaltens und menschlicher Ideen – Politik, Kultur, Musik, Poesie – beachtet und in einem biologischen Kontext
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