Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom
Autoren: Lone Frank
Vom Netzwerk:
Individuen geteilt – die »erschaffene« Klasse, könnte man sagen. Und wenn man den Anhängern solcher Dystopien glaubt, werden die neuen Übermenschen blonde, blauäugige Athleten sein, die tagsüber als Gehirnchirurgen oder theoretische Physiker arbeiten und abends als Klaviervirtuosen auftreten.
    Natürlich ist eine Gesellschaft derart verbesserter Menschen für manche eine positive Utopie: für die so genannten Transhumanisten, eine Gruppe von Philosophen, Technikern und allgemeinen Fortschrittsoptimisten, die meinen, man sollte die Menschheit unbedingt, mit allen Mitteln, perfektionieren. Leider kann die Lösung dieser Debatte nicht lauten Jedem das Seine.
    Es ist höchste Zeit, dieses Gerede zu beenden. Es existiert kein magischer Genstaub, den man über die befruchteten Eizellen von Mr. und Mrs. Smith streuen kann, um ihre künftigen Kinder zu verbessern. Die Wissenschaft sagt uns sehr klar, dass das naiv und unrealistisch ist. Denn solche Gedanken gründen auf der überholten Annahme, es gebe bestimmte, identifizierbare Gene, die entscheiden, ob jemand klein oder groß wird, gutaussehend oder unscheinbar, hochbegabt oder mittelmäßig. Solche Gene gibt es nicht. Ebenso wenig gibt es genetische oder biologische Perfektion – die Formulierung von Armand Leroi, in der Realität sei das Beste »das geringste Übel«, trifft den Nagel auf den Kopf.
    Wie genetisches Wissen uns nach der Geburt beeinflusst, ist ein ganz anderes Thema. Wenn unsere Genome öffentlich zugänglich sind, gibt man viel mehr von sich preis als physische Handicaps – und nicht unbedingt erfahren es die Menschen, denen man so etwas mitteilen möchte. Auch solche Dinge wie psychische Dispositionen.
    Derartige Aussichten haben Ilina Singh und Nikolas Rose zu einigen heiklen Fragen angeregt, die sie in einem geistreichen Aufsatz in Nature veröffentlichten. »Werden irgendwann die Begriffe ›Risiko‹ und ›Potenzial‹ unsere Auffassung von persönlicher Identität bestimmen?«, fragen sie. »Und werden diese Gedanken in Bildung, Recht und Politik institutionalisiert werden?« 21
    Die beiden Sozialwissenschaftler von der London School of Economics, die die biologischen Zusammenhänge so fest im Blick haben, fragen, wie sich genetische Aussagen auf unser Leben auswirken werden, wenn sie uns von Geburt an begleiten. Wie wird das Wissen um die Risiken und Potenziale, die das Genprofil eines Neugeborenen enthüllt, seine Eltern beeinflussen? Wird es ihre Sicht auf das Kind prägen, die Art des Umgangs mit ihm verändern? Und wie wird das Kind sich selbst sehen, wenn es von Anfang an als besonders sensibel oder besonders robust etikettiert oder einer anderen Kategorie von genetischer »Gesundheit« zugeschlagen wird?
    Singh und Rose hauchen der Idee Leben ein, dass rein statistische Dispositionen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden könnten. Allein schon, wenn eine Person von einer Neigung in ihren Genen liest, könnte sie anfangen, sich in einer Weise zu verhalten, die deren Ausdruck und Wirkungen entspricht. Man kann sich hässliche Szenarien ausmalen, dass zu belastende Erwartungen eine ungefestigte Seele auf Abwege führen oder zerstören – und nicht nur in chinesischen Ferienlagern. Andererseits kann man sich genauso ausmalen, dass genetische Alarmglocken eher fragile Naturen veranlassen, sich wichtige Verteidigungswälle zuzulegen. Oder dass sensiblen Seelen besondere Hilfe zuteilwird, weil die Genetik ihnen sagt, dass sie überdurchschnittlich empfänglich für positive Einflüsse sind.
    Solche Perspektiven reichen weit über die Familie und ihren privilegierten privaten Schutzraum hinaus. Wie lange wird es dauern, da das genetische Wissen nun einmal zur Verfügung steht, bis die Politiker auf den Zug aufspringen?
    Bei meinem Besuch bei Daniel Weinberger in den National Institutes of Health drückte er mir einen Artikel in die Hand mit dem Kommentar, das müsse ich unbedingt lesen. »Das ist eine der besten Studien, die ich seit Jahren gesehen habe. Es ist einfach großartig«, sprudelte es aus ihm heraus. Wenn das Thema nicht so umstritten wäre, hätte wahrscheinlich eine der großen Zeitschriften den Artikel gebracht.
    Zu Hause blättere ich die Seiten beklommen durch. Zugegeben, das Forschungsteam der University of Georgia hat sich auf ein Gebiet gewagt, das sich nur wenige zu betreten trauen. Sie gingen in eine abgelegene Ecke des Bundesstaats, in eine arme schwarze Gemeinde. Dort wählten sie 641 Familien aus, die alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher