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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom
Autoren: Lone Frank
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zur Welt zu bringen, inakzeptabel, sich bewusst gegen einen Gentest zu entscheiden. Wäre die Folge nicht eine erbärmliche Gesellschaft, die ihre unvollkommenen und behinderten Mitglieder schlecht behandeln würde?
    Bisher ist dieser Albtraum noch nicht wahr geworden. In der Praxis behandelt die Gesellschaft Behinderte nicht schlechter als zu der Zeit, als es Fruchtwasseruntersuchungen, Gentests und legale Abtreibungen noch nicht gab. Im Gegenteil. Die meisten würden wohl darin übereinstimmen, dass sowohl der Umgang mit wie die allgemeine Einstellung zu Behinderten heute sehr viel besser sind als in der Vergangenheit. Es kann sein, dass werdende Eltern, die auf ihrem Recht bestehen, ein krankes Kind zu bekommen, hie und da auf Kritik stoßen, so ähnlich wie Raucher und übergewichtige Menschen gesellschaftliche Missbilligung erleben. Aber zu jeder Zeit mussten Menschen mit der Verdammung durch andere fertig werden – so drückt sich nun einmal Moral im Alltag aus. Die wahre Herausforderung besteht darin, allen Bürgern gleiche Chancen zu garantieren, unabhängig von ihrem genetischen Profil.
    Doch die Frage bleibt: Wenn es ethisch verantwortungsvoll ist, zur Vermeidung von Leid abzutreiben, wer definiert dann, welches Leid eine Abtreibung rechtfertigt, wenn das Maß ein Gentest ist? Anfang des Jahres 2010 hat die britische Human Fertilisation and Embryology Authority einen ersten Schritt unternommen, dieses Dilemma zu lösen, und eine Liste mit über hundert genetisch bedingten Krankheiten vorgelegt, auf die die Ärzte des Landes Föten testen können. Ein Blick auf die Liste zeigt, dass etliche keineswegs lebensbedrohend sind, etwa bestimmte Arten angeborener Blindheit und Taubheit. Andere Krankheiten auf der Liste treten in unterschiedlichen Schweregraden auf, etwadie Sichelzellenanämie, die neben der Anämie auch Schmerzen und vielerlei Beschwerden verursachen kann. Aber mit manchen Formen der Sichelzellenanämie kann man gut leben, wie der Tennisspieler Pete Sampras beweist.
    Wie verhindert man also, dass Föten wegen kleinerer Defekte abgetrieben werden? Oder aus Gründen, die gar nichts mit Krankheiten zu tun haben – wegen des Geschlechts beispielsweise? Verschiedene Firmen wie IntelliGender mit Sitz in Texas oder Acu-Gen Biolab aus Boston haben Tests für zu Hause entwickelt, mit denen sich ab der elften Schwangerschaftswoche das Geschlecht des Fötus feststellen lässt. Wenn die Eltern innerhalb des Zeitfensters, in dem sie frei über eine Abtreibung entscheiden können, das Geschlecht ihres Kindes erfahren, was sollte sie dann daran hindern, eine Auswahl zu treffen?
    Letztlich ist das »Recht« auf Abtreibung eine politische Entscheidung. Wenn ein Land einmal beschlossen hat, Abtreibungen zuzulassen, hat es im Prinzip das Tor dafür geöffnet, dass eine Frau einen Fötus loswerden kann, den sie nicht haben möchte. Vielleicht hat sie in ihrer Lebens- und Arbeitssituation nicht die Zeit für ein Kind, vielleicht wurde sie vergewaltigt und will das Kind des Vergewaltigers nicht zur Welt bringen. Das sind legitime Gründe, eine Abtreibung zu wünschen, weil es bei der Abtreibung darum geht, dass eine Frau im Rahmen des Gesetzes Entscheidungen über ihren eigenen Körper treffen kann. Wenn man es so betrachtet, wird es schwierig, eine Abtreibung aus genetischen Gründen zu verbieten, sobald eine Gesellschaft einmal grundsätzlich beschlossen hat, das Recht auf Abtreibung und auf Gentests anzuerkennen. Ethisch ergibt ein Verbot dann keinen Sinn.
    Und selbst wenn wir mit den heutigen Möglichkeiten zurechtkommen, können uns die Entwicklungen der Zukunft Angst machen. Bei der Diskussion, ob und wie dafür gesorgt werden soll, dass gesunde Kinder zur Welt kommen, geraten wir anscheinend unvermeidlich in die Debatte über »Designer-Babys«: genmanipulierte Wunderkinder. Beinahe jeder schaudert angesichts dieser Vorstellung, unter Philosophen ist es eine beliebte Dystopie, eine negative Utopie.
    Jenseits von Hollywood hat zum Beispiel der amerikanische Intellektuelle Francis Fukuyama die Vision einer »posthumanen« Zukunft entworfen, in der die Menschen die Evolution in die eigene Hand genommen und die menschliche Natur verändert haben. Natürlich mit negativen Folgen und bis zu einem Punkt, an dem die liberale Demokratie in Gefahr gerät. In Fukuyamas Horrorszenario ist die Menschheit dauerhaft in eine Unterschicht armer »Natürlicher« und eine Oberklasse reicher, überlegener, genmanipulierter
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