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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom
Autoren: Lone Frank
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    Kann Genetik das wirklich leisten?
    Vielleicht. Aber Voraussetzung dafür ist die brutal ehrliche Liquidierung einiger hartnäckiger alter Mythen. Und das verlangt, dass mehr Menschen eine realistische Vorstellung davon bekommen, was Gene sind und was sie bewirken können. Das wird keine leichte Aufgabe sein, aber es gibt bereits Pioniere, die den Weg weisen.
    Ein Beispiel stammt aus der Psychiatrie, wo die Praktiker sich mittlerweile von dem Konzept der »Risikogene« verabschiedet haben und stattdessen von genetisch bedingter Anfälligkeit sprechen. Die Rede von »Orchideen«-Kindern und »Löwenzahn«-Kindern ist nicht nur eine poetische Ausdrucksweise, sondern zeigt einen wichtigen Bewusstseinswandel: Der Fokus verlagert sich vom Risiko einer unglücklichen zur Möglichkeit einer guten Entwicklung. Und diese Möglichkeit ist nicht durch das Genom determiniert, sondern wird durch äußere Umstände beeinflusst. Es gibt dabei keinen genetischen Determinismus.
    Umdenken ist auch erforderlich bei der Annahme, das Genom sei etwas Statisches. Viele Menschen glauben, weil unsere Gene nicht verändert werden können, steckten wir in einer biologischen Zwangsjacke. Aber je mehr epigenetische Mechanismen wir entdecken, desto deutlicher wird, dass das nicht stimmt. Das Genom mit seinen eigentümlichen Schaltern, die Gene an- und abschalten, ihre Aktivität steigern oder bremsen, ist unglaublich dynamisch. Und obwohl wir erst an der Oberfläche der genetischen Plastizität zu kratzen beginnen, sehen wir bereits, wie Information, die für sich unveränderbar ist, immer einer Interpretation unterliegt: durch unterschiedliche Gewebe und alle möglichen Umwelteinflüsse und sonstige äußere Gegebenheiten. Die Interpretation kann enorme Unterschiede bewirken. Das Fazit lautet darum, dass der effektivste Weg, Menschen zu formen, nicht darin besteht, die Gene zu verändern, sondern das zu verändern, dem wir unsere Gene aussetzen.
    Der Aufstieg der Epigenetik wird ohne Zweifel zu einem neuen, hoffentlich starken Interesse an unserer Umwelt im denkbar weitesten Sinn führen. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass die genetische Forschung immer mehr zu einer ganzheitlichen Erkundung des ewigen Wechselspiels zwischen Genom, Organismus und dem übrigen Universum wird. Mit anderen Worten: Sie enthüllt die Dynamik und Komplexität, die das Wesen der Biologie ausmachen.
    Dynamik und Komplexität sind die Schlüssel zu diesen Umdenkungsprozessen. Ich sage voraus, dass in der Zukunft als dritte Parole noch Diversität hinzukommen dürfte – im Sinn von genetischer Diversität und daher Diversität in biologischer und verhaltensmäßiger Hinsicht.
    Warum?
    Weil wir in der nächsten Zukunft mit einem Grad an Vielgestaltigkeit konfrontiert sein werden, von dem wir nie zuvor geträumt hätten. Den Forschern werden Tausende und bald Millionen individueller Genome zur Verfügung stehen, mit denen sie experimentieren können, und wir werden faszinierende Einsichten bekommen, wie unterschiedlich unsere Genome sind, in welcher Hinsicht sie unterschiedlich sind und was die Unterschiede bedeuten. Wir haben bereits einen Vorgeschmack auf die neue Erkenntnis der Verschiedenheit erhalten durch Projekte, die Genome großer ethnischer Gruppen – oder auch Rassen, wenn Sie so wollen – entschlüsseln und vergleichen. Es wird nicht lange dauern, und wir werden Genome von noch spezielleren Gruppen haben: vonBuschleuten und Pygmäen, von Inuit und australischen Aborigines und allen möglichen sonstigen Gruppen. Innerhalb jeder dieser Gruppen wird sich die Vielfalt in immer mehr genetischen Details zeigen, und für uns werden diese Erkenntnisse ein willkommenes Korrektiv unseres früheren Bildes sein, was allen Menschen gemeinsam ist.
    Damit wird sich auch das Mantra der genetischen Forschung verändern. In Sonntagsreden und offiziellen Verlautbarungen heißt es immer, interessant an der Untersuchung unterschiedlicher Genome sei die Entdeckung, wie gleich sie doch sind. Dadurch ist das Genom in eine politische Rolle geraten: Es soll so etwas wie eine verbrüdernde Kraft über kulturelle, historische und soziale Unterschiede hinweg sein. Aber wissen wir an dem Punkt, an dem wir in der Wissenschaftsgeschichte heute stehen, denn wirklich, dass wir ungeachtet aller genetischen Unterschiede eine Spezies sind und bleiben werden? Wirklich aufregend sind doch die Dinge, die uns so verschieden machen.
    Der Genetiker Bruce Lahn von der University of Chicago
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