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Mein Mutiger Engel

Mein Mutiger Engel

Titel: Mein Mutiger Engel
Autoren: Louise Allen
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bei ihm geborgen … vielleicht wegen seiner Größe."
    "Wieso weinen Sie dann?"
    "Zum einen vor Aufregung, zum anderen, weil mich der Besuch im Gefängnis ziemlich mitgenommen hat. Und nicht zuletzt wegen der Erkenntnis, wie verzweifelt unsere Lage ist." Erfahren zu müssen, wie Philip sie benutzt und betrogen hatte, tat über alle Maßen weh. Außerdem plagte sie ihr Gewissen, weil sie und ihr Bruder Nicholas Lydgate, einen Menschen, der buchstäblich an der Schwelle des Todes stand, für ihre Zwecke benutzten.
    "Und nun, Jenny, wirst du diese Handtücher in einen Korb legen, die Seife und den Kamm dazupacken … oh, und das auch." Sie nahm ein Buch von ihrem Nachttisch. "Anschließend gehst du zu Mr. Philip und bittest ihn um das Rasierzeug. Und dann suchst du John und fragst ihn, ob er ein, zwei Hemden, eine Hose und eine Jacke entbehren kann, um sie Mr. Lydgate zu geben. Ich werde ihm die Sachen ersetzen." Sie atmete tief durch und erhob sich vom Bett. "Bitte sag ihm, er soll eine Droschke nehmen und so bald wie möglich aufbrechen."
    Als Katherine endlich allein war, setzte sie sich an ihren Frisiertisch, um zu prüfen, ob ihre Tränen Spuren auf ihrem Antlitz hinterlassen hatten. Gerötete Augen, eine rote Nase, nasse Wangen … Wie sehr sie die Damen beneidete, die hübsch aussahen, wenn sie weinten, und deren Augen dadurch nur umso strahlender leuchteten! Wenn Jenny zurückkam, würde sie ein Bad nehmen, sich das Haar waschen und es mit Jasminwasser spülen. Anschließend würde sie eine Weile ruhen.
    Sie gedachte ihren Teil ihres ungewöhnlichen Pakts zu erfüllen. Nicholas Lydgate sollte in seinem abscheulichen Kerker eine Nacht mit einer Frau verbringen dürfen, die lieblich duftete und die sich ihm bereitwillig hingab. Zweifellos hätte er eine erfahrene Kurtisane vorgezogen, aber er würde eben mit ihr vorlieb nehmen müssen.
    Nun ging es Katherine schon viel besser. Die Gewissheit, dass sie sich gegenüber jenem Fremden, ihrem Gatten, anständig verhielt, wirkte beruhigend. Darüber hinaus hatte sie für die Zukunft, wenn alles vorbei war, schon einen Plan ins Auge gefasst. Dann fiel ihr schlagartig wieder ein, was das Ende bedeutete: Bevor sie ihre Schulden bezahlen musste, würde ihr Gatte einen schmählichen öffentlichen Tod erleiden.
    Als es acht Uhr schlug, stand Nicholas Lydgate von seinem Tisch auf. Er las gerade in dem Gedichtband, den seine erstaunliche junge Braut ihm zusammen mit allerlei brauchbaren Dingen geschickt hatte. Seife und Byron waren ihm gleichermaßen willkommen, wenngleich er mit Freuden das Gesamtwerk des Dichters gegen eine Unze Seife eingetauscht hätte, wenn er sich für eines von beiden entscheiden müsste.
    Ob sie wohl kommen würde? Ich könnte es ihr nicht verdenken, wenn sie es nicht täte, dachte er, während er sich mit der Hand über sein frisch rasiertes Kinn fuhr – ein weiterer Luxus, den er ihr zu verdanken hatte.
    In diesem Augenblick wurde die Tür aufgeschlossen, und Mr. Rawlings sah herein. "Ihre Gattin ist eingetroffen, Standon oder Lydgate oder wie auch immer Sie heißen. Ich werde sie morgen früh um acht Uhr wieder abholen. Maam."
    Zuerst trat ihr Kutscher ins Zimmer, derselbe Mann, der einige Stunden zuvor Seife, Rasierzeug und alles andere gebracht hatte. Er maß Nicholas kritisch von Kopf bis Fuß, bevor er mit einem billigenden Nicken einen Tragekorb auf den Tisch stellte und einen zweiten großen Korb neben das Bett. "Sauberer, als ich gedacht hätte", brummte er. "In Ordnung, Miss Katherine, ich werde die ganze Nacht über warten, falls Sie mich brauchen." Mit dieser gezielten Bemerkung entfernte er sich, und die Tür wurde hinter ihm geschlossen. Nun war Nicholas mit Katherine allein.
    Er machte keine Anstalten, sich ihr zu nähern, während sie ihren Schleier hob und die Bänder ihres Huts löste. Nachdem sie ihn aufs Bett gelegt hatte, wandte sie sich Nicholas zu, die Hände vor dem Körper gefaltet. Ihr schönes Antlitz wirkte ruhig, doch wie er sehen konnte, zitterte sie so sehr, dass der Saum ihres Kleids bebte. Irgendwo ganz in der Nähe ertönte ein Schlag und darauf lautes Wutgeheul, das sie erschrocken zusammenfahren ließ.
    Nicholas ging rasch einen Schritt auf sie zu. "Warten Sie, ich werde Ihnen Ihre Pelisse abnehmen. Bitte setzen Sie sich doch. Wie ich sehe, haben Sie noch mehr Vorräte mitgebracht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen für all die anderen Sachen bin. Hoffentlich sehe ich jetzt etwas weniger Furcht
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