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Mein Leben in 80 B

Mein Leben in 80 B

Titel: Mein Leben in 80 B
Autoren: Anja Goerz
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Welt einen Mann gab, der sich gern «Männe» nennen ließ. Und ich konnte mir noch weniger vorstellen, dass ein Tanga und wattierte Körbchen über den knochigen Körperbau dieser Frau hinwegtäuschen konnten. Aber bitte, der Kunde ist König. Wie immer würde ich mich bemühen, den Damen das Gefühl zu geben, in Lucinda-Dessous begehrenswert und einzigartig zu sein. Das wünschten wir uns doch schließlich alle. Also machte ich mich auf die Suche nach dem gewünschten Antörner-Modell für Männe. Irgendwo musste doch noch dieses unglaublich teure Teil sein, das wegen seines Preises seit Monaten wie Beton in meinen Regalen lag (heißes rot-schwarzes Torselett, im Mittelteil mit vier Stützstäben unter der Jacquard-Spitze, die Seiten wie der Rückenteil aus transparentem Tüllstoff. Abnehmbare Träger und Strumpfbänder. Highlight waren die Satinbänder an den Trägern, die zu kleinen Schleifen gebunden werden konnten, um den Chiffon zu plissieren oder sich auf Haut und Schultern zauberhaft zu entfalten, ab 179 , 00  €, passender String ab 49 , 00  €). Das schien mir genau das Richtige für den gewünschten Anlass. Und Sylvia schien mir genau die Richtige, um diesen Ladenhüter endlich loszuwerden. Der Preis war ihr schließlich gleichgültig, wenn nur Männe glücklich war.
     
    Einige Stunden später saß ich in meinem Auto auf dem Weg nach Hause. Es war spät geworden, die Bundesstraße von Potsdam nach Falkensee lag wie ausgestorben vor mir. Die Seen, an denen ich vorbeikam, wirkten wie schwarze Löcher, und im Mondlicht konnte ich einige schwimmende Eisschollen ausmachen. Heute Nacht fuhr ich notgedrungen langsamer als gewohnt, um auf der glatten Straße nicht ins Rutschen zu geraten. Kurz nach ein Uhr am Samstagmorgen war auf der Strecke zwischen Neu Fahrland und Groß Glienicke niemand mehr unterwegs. Hier gab es keine Großraumdiscos oder Nachtclubs, die mit denen in Berlin konkurrieren konnten. Die Laternen in den Seitenstraßen waren bereits ausgeschaltet, und hinter den Fenstern der niedrigen Wohnblöcke und Häuser brannte nur ganz vereinzelt noch Licht. Brandenburg war eben nicht Berlin. Im Sommer fuhr ich diese Strecke gern mit meinem Sohn, der jedes kleine Boot mit einem «Mama, guck mal da» kommentierte und sich am Wasser gar nicht sattsehen konnte. Kaum zu glauben, wie ruhig es hier jetzt war. Nur wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt, erschien es mir dennoch wie eine ganz eigene Welt. Die meisten Menschen lebten hier in kleinen Häuschen, viele davon standen auf ehemaligen Datschen-Grundstücken, die nach der Wende an Zugezogene verkauft worden waren. Zum Shoppen fuhr man nach Berlin oder Potsdam oder zu einem der großen Einkaufszentren an der Bundesstraße, in denen es alles unter einem Dach gab, vom Schuhgeschäft bis zum Schreibwarenladen. Die Ostdeutschen hatten sich daran gewöhnt, dass immer mehr junge Berliner Familien hierherzogen, weil man sich am Stadtrand die Grundstücke noch leisten konnte, viel Natur und trotzdem eine gute Infrastruktur hatte. Wie überall in Deutschlands eher ländlichen Regionen fand der Alltag zwischen Kegelclub, Fußballverein und freiwilliger Feuerwehr, zwischen Bastelabenden im Kindergarten und Frauenturnen statt. Im Urlaub fuhr man an die Ostsee oder mit der Gymnastik-Gruppe für ein Wochenende nach Hamburg, um ohne die Männer mal lustig einen draufzumachen. Wer etwas auf sich hielt, flog übers Wochenende nach Sylt. Das Leben im Land Brandenburg war überschaubar, unaufregend und gerade deshalb sehr gemütlich.
    Der Abend hatte sich finanziell für mich gelohnt. «Dafür gibt’s sicher ein Fleißbienchen von deiner Chefin, was?», hatte Sylvia zum Abschied noch krakeelt. Ich hatte Tangaslips und Büstenhalter in allen Farben und Formen verkauft und überlegte, ob ich zum bald startenden Weihnachtsgeschäft vielleicht Vibratoren ins Programm nehmen sollte. Heute wäre der Prosecco-Pegel jedenfalls hoch genug gewesen, um auch Sexspielzeug unters Volk zu bringen. Bisher hatte ich mich auf Wäsche und Nachthemden beschränkt, weil die verklemmten Muttis, bei denen ich zu Gast war, meistens schon rot anliefen, wenn ich rückenfreie Bodys und schwarze Spitzentangas auspackte. «Weißt du, Ilse, das ist nicht das Richtige für meine Freundinnen, ich fände es besser, wenn du heute Abend eher die bequemen Baumwolltrends vorführst.» So oder so ähnlich wurde das Sortiment gleich zu Beginn des Abends meist auf ein Minimum reduziert. Dieser Typ Frau
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