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Mein ist die Stunde der Nacht

Mein ist die Stunde der Nacht

Titel: Mein ist die Stunde der Nacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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Schule ging.«
    »Würden Sie demnach sagen, dass Sie während Ihrer Zeit in Stonecroft nicht besonders glücklich waren?«
    Carter Stewart nahm einen Schluck von seinem Merlot. »Ja, das würde ich sagen«, antwortete er gleichmütig.
    »Was hat Sie dann dazu bewegt, auf dieses Treffen zu kommen?«
    Stewart lächelte kühl. »Die Gelegenheit, von Ihnen interviewt zu werden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich sehe gerade, dass Laura Wilcox, die Glamour-Schönheit unserer Klasse, aus dem Aufzug kommt. Mal sehen, ob sie mich noch erkennt.«
    Er ignorierte das Blatt Papier, das Perkins ihm zu überreichen versuchte.
    »Wenn Sie nur noch eine Minute für mich hätten, Mr Stewart. Ich habe hier eine Liste, die Sie sicherlich sehr interessieren wird …«

    Doch Perkins konnte nur noch die Rückansicht von Carter Stewarts schlankem Körper begutachten, da er mit ausgreifenden Schritten davoneilte, um die Aufsehen erregende Blondine einzuholen, die sich gerade anschickte, die Hudson-Valley-Suite zu betreten. Was für ein Ekelpaket, dachte Perkins. Kommt in Jeans und Pullover, um seine Verachtung für die Anwesenden zu zeigen, die sich für den Abend extra aufgebrezelt haben. Er ist nicht der Typ, der hier aufkreuzt, nur um sich irgendeine bedeutungslose, billige Medaille abzuholen. Was hat ihn also wirklich hierhergeführt?
    Dies war die Frage, die er im letzten Satz seines Artikels stellen würde. Er hatte bereits eine ganze Menge über Carter Stewart recherchiert. Auf dem College hatte er mit dem Schreiben begonnen, unkonventionelle Einakter, die von der Theatergruppe aufgeführt wurden und ihm einen Postgraduierten-Job in Yale eingebracht hatten. Zu dieser Zeit hatte er seinen ersten Vornamen, Howard – oder Howie, wie er in Stonecroft genannt wurde –, aufgegeben. Er war noch keine dreißig, als er seinen ersten großen Erfolg am Broadway landete. Er wurde als Einzelgänger beschrieben, der sich in eines seiner über das ganze Land verstreuten vier Häuser zurückzog, wenn er an einem Stück arbeitete. Menschenscheu, abweisend, ein Perfektionist, ein Genie – mit solchen Wörtern wurde er in der Presse charakterisiert. Mir fallen da noch einige mehr ein, dachte Jake Perkins grimmig. Und die kommen alle in meinen Artikel.

7
    FÜR DIE FAHRT VON Boston nach Cornwall brauchte Mark Fleischman länger, als er erwartet hatte. Er hatte gehofft, noch ein paar Stunden Zeit zu haben, um ein bisschen in der Stadt herumzulaufen, bevor er auf seine ehemaligen Klassengenossen treffen würde. Er wollte die Gelegenheit nutzen, den Unterschied zwischen seiner Selbstwahrnehmung damals – als er hier aufgewachsen war – und der Gegenwart – wie er sich heute sah – zu ermessen. Vielleicht war es auch der Wunsch, die alten Dämonen in einer Art Exorzismus zu vertreiben, dachte er.
    Während er in nervtötend träger Geschwindigkeit auf der überfüllten Autobahn von Connecticut fuhr, ging ihm immer wieder der Ausspruch des Vaters eines seiner Patienten durch den Kopf, den er an diesem Vormittag gehört hatte: »Doktor, Sie wissen genauso gut wie ich, dass Kinder grausam sind. Das war schon zu meinen Zeiten so, und daran hat sich nichts geändert. Sie benehmen sich wie ein Rudel Löwen, das sich an die verwundete Beute heranpirscht. Das ist es, was sie zurzeit mit meinem Sohn machen. Und dasselbe haben sie mit mir gemacht, als ich in seinem Alter war. Und wissen Sie was, Doktor? Ich bin beruflich ziemlich erfolgreich, aber wenn ich hin und wieder auf ein Klassentreffen meiner Schule gehe, dann bin ich plötzlich nicht mehr der Generaldirektor eines der erfolgreichsten Unternehmen unseres Landes. Auf einen
Schlag bin ich wieder der ungeschickte Tollpatsch, der von allen gepiesackt wurde. Verrückt, finden Sie nicht?«
    Als der Verkehr wieder einmal stockte und sich nur noch im Kriechtempo vorwärts bewegte, ging Mark durch den Kopf, dass sich die Connecticut-Autobahn, in Krankenhaus-Terminologie ausgedrückt, in einem Zustand der ständigen Intensivbehandlung befand. Immer war irgendwo ein größeres Bauprojekt im Gange, verbunden mit Baustellen, bei denen die drei Spuren zu einer einzigen zusammengeführt wurden, sodass die unvermeidliche Folge ein Stau war.
    Er ertappte sich dabei, dass er anfing, die Verkehrsprobleme mit den Problemen seiner Patienten zu vergleichen, wie die jenes Jungen, dessen Vater zu ihm in die Sprechstunde gekommen war. Das Kind hatte im vergangenen Jahr einen Selbstmordversuch unternommen. Ein anderes
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