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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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leicht zu verstehen ist, und ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Das tut er nur, wie ich bald feststelle, wenn er mit Maureen spricht.
    Er ist in diesem Haus geboren, hat zehnJahre lang die Grundschule besucht, eineinhalb Meilen von hier entfernt, hat auf der Insel nie etwas anderes getan, als in der Landwirtschaft zu arbeiten, war also nie Fischer und kann nicht schwimmen - was er mit einem gewissen Stolz zu vermelden scheint. In London und Birmingham war er auf dem Bau, findet in der Erinnerung anerkennende Worte für die Briten und nennt auch den Grund dafür: »Nach meinem Unfall habe ich zwanzig Wochen in einem Londoner Hospital gelegen und bin da wie alle anderen behandelt worden, obgleich jeder wußte, daß ich Ire bin.«
    Außer auf der Durchreise war er nie in Dublin, kennt Galway und Cork nur auf der Karte und hat weder geheiratet noch Kinder. »Das heißt, ganz genau weiß ich das nicht«, lacht er und sieht geradezu unverschämt gesund aus.
    Das hat seine Erklärung. Perry meidet seit siebzehn Jahren Pubs, trinkt keinen Tropfen Alkohol mehr, gibt aber zu, davor ein großer Säufer vor dem Herrn gewesen zu sein: »Erst kam der Papst, dann Guinness.« Wenn er sich nicht für die Abstinenz entschieden hätte, wäre er nicht mehr am Leben. Die Leber war beschädigt, hat sich aber regeneriert.
    Er sieht aus wie ein Mann, der das Leben liebt, und als hätte er mir den Gedanken vom Gesicht abgelesen, bestätigt er: »I am happy!« - kommentiert von Maureens »Ich auch«.
    Sie sitzt die ganze Zeit da und schweigt, schaut mich aber ab und zu bedeutsam an, als wollte sie fragen: Na, was sagst du zu dem Kerl, meinem alten Freund von Kindheit an?
    Auf mich macht dieser Ire den Eindruck eines ungewöhnlich glücklichen Menschen von ungestümer Lebenslust und in völliger Harmonie mit seinem Dasein. Er legt Torf nach, rüttelt mit dem Aschenhebel, daß es glühend in den Kasten hinunterstiebt, und kneift das Auge ein mit dem typisch irischen Kick des Kopfes.
    Die Zeiten haben sich gebessert, sagt er, für seinen ersten Arbeitstag hatte er 5 Schilling und 20 Pence bekommen, heute kriegt man dafür 25 Pfund. Als er noch arbeitete, stand er früh um sechs Uhr auf, heute um acht, und wenn es regnet, um zehn. Perry bezieht eine Rente, die auskömmlich ist, wie er sagt, allerdings mit der Einschränkung: »Man kann ja nebenher noch ein bißchen nachhelfen.«
    Auf dem Schrank sehe ich ein Foto mit der Jahreszahl 1912, der Unterschrift »Building Valentia Wire Station« und einer Männerriege mit Nummern auf der Arbeitskluft - die 13 ist angekreuzt. »Mein Vater«, sagt Perry, »er hat noch auf der Station gearbeitet.«
    Das Bild zeigt ein großes Gebäude, in dem hier auf Valentía Island 1866 das große Kabel quer durch den Atlantik von Amerika aus endete, für die damalige Zeit eine ungeheure technische Leistung, die erst durch die drahtlosen Nachrichtensysteme unseres Jahrhunderts überholt wurde.
    Da die Ruine noch steht und ganz in der Nähe ist, beschließen wir, sie uns anzusehen.
    Der Nebel ist inzwischen noch dichter geworden, ich fahre im Schrittempo. Maureen sitzt neben mir, Perry im Fond und qualmt. Plötzlich legt sie ihre Hand auf meinen Arm, die Aufforderung anzuhalten, streckt eine Hand aus und fragt: »Ist das Kellys Haus, das da links?«
    »Das ist Kellys Haus«, bestätigt Perry und versucht, die ausgegangene Pfeife wieder anzuzünden, »guck mal genau hin, dann weißt du’s wieder.«
    »Die Kellys!« ruft Maureen, ganz aufgeregt. Ihren Arm weiter auf dem meinen, fahre ich noch langsamer weiter. »Und da, wohnen da noch die Cooleys?«
    Darauf Perry: »Ja, was meinst denn du - warum sollten sie denn nicht mehr da wohnen?«
    Schweigen.
    Dann Maureen, fast flüsternd: »Und Big John, da drüben?«
    »Big John hat das Haus verkauft an Engländer, der wohnt nicht mehr da. Hier sind auch Deutsche hingezogen«, er zeigt auf ein kleines Haus hinter Stechpalmen.
    Eine Frau am Wegesrand beugt sich herunter, schaut ins Fenster, winkt, als sie Maureen erkennt, die zurückgrüßt. »War das Teddy Murphys Frau?« dreht Maureen sich zu Perry um.
    »Das war Teddy Murphys Frau«, antwortet Perry.
    Darauf Maureen: »Ich hab’ ihn vor drei Jahren zuletzt gesehen - lebt der noch?«
    »Ha!« kommt es aus dem Wagenfond, »Teddy Murphy? Ob der noch lebt? Der ist doch unsterblich. Weißt du das nicht?«
    Ringsum Nebel, draußen alles umrißhaft, wie wolkenverpackt.
    Dann ein Zeichen, anzuhalten.
    Maureen und Perry bleiben im
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