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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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Mädchen und seinen Eltern auch nur die Haut zu ritzen könnte durch nichts gerechtfertigt werden -durch keine Ideologie, keine Staatsräson, keinen Konfessionsstreit, durch absolut gar nichts.
    Und denke weiter: Abwesenheit von Furcht - welch ein großes, welch ein kostbares Gut. Langsam hat es hier Eingang gefunden, zögernd und zagend, ganz vorsichtig gerinnend in die Hoffnung auf Beständigkeit. Die Störungen um den 12. Juli und den 12. August haben daran nichts wirklich beschädigen können. Das Bild hier oben und dort unten im Castle Court Center bestätigt es mir nur noch einmal. Der Waffenstillstand hat seine Wirkung gezeigt.
    Wer ihn bricht, gleich von welcher Seite, begeht ein schweres, begeht ein ungeheuerliches Verbrechen.
     
    An dieser Stelle der Niederschrift meines Buches angelangt, verbreiten die Medien die Nachricht, daß heute, am 9. März 1996, in Westlondon die vierte Bombe hochgegangen ist, genau einen Monat nach der ersten. Diesmal war der Explosivkörper nahe dem Ausstellungsgelände von Earl’s Court und der U-Bahnstation WestBrompton in einem Altglascontainer gezündet worden. An der Täterschaft der IRA kann es keinen Zweifel geben, obwohl es diesmal keine Vorwarnung gab.
    Menschen wurden nicht verletzt, der äußere Schaden beschränkt sich auf einige beschädigte Fahrzeuge und zerborstene Fensterscheiben. Aber was ist mit dem inneren? Soll das nun immer so weitergehen? Schon hat die protestantische Untergrundorganisation » Vereintes Loyalistisches Militärkommando« angekündigt, für jeden Angriff der IRA Vergeltung zu üben.
    In diese Düsternis fällt das Licht von Ereignissen, ohne die die so plötzlich verhangene Gegenwart nicht zu ertragen wäre. Was ich davon hier in der Presse lese, auf dem Bildschirm sehe oder von meinen irischen Freunden und Bekannten beider Konfessionen in endlosen Telefongesprächen erfahre, sauge ich förmlich in mich hinein.
    Im Zentrum von Belfast haben sich Tausende von Männern, Frauen und Kindern vorder City Flall mit Transparenten wie»Waffenstillstand jetzt« und » Gebt uns den Frieden zurück « versammelt. Eine tiefgestaffelte Front heller Gesichter, Passanten, Angestellte aus den Büros, Menschen, die zufällig dort waren oder dem Aufruf der Organisation » Women together« (»Frauen gemeinsam«) gefolgt sind. Niemand fragte, ob der Mann rechts, die Frau links protestantisch oder katholisch sei, alle waren vereint unter der gemeinsamen Forderung »Beendet die Gewalt« -für immer.
    Gleichzeitig gab es ähnliche Demonstrationen in der Republik, die stärkste in Dublin, eine andere in Cork, der zweitgrößten Stadt Südirlands, während Präsidentin Mary Robinson auf einer Kundgebung in ihrer Heimatstadt Tralee sprach. Im ganzen Land läuteten die Glocken.
    Von der Belfaster Demonstration habe ich mir ein Zeitungsfoto ausgeschnitten, das ich immer wieder betrachte.
    Dabei lasse ich mir nicht ausreden, daß es sich um ein exemplarisches Dokument handelt, einen stellvertretenden Beweis für die tiefsten Wünsche und Sehnsüchte einer Mehrheit ganz Irlands, die sich von der Demonstration dort am Donegall Square North und am Donegall Place repräsentiert sah.
    Was auch immer geschehen mag, nachdem meine Arbeit an diesem Buch beendet und es erschienen ist, was immer sich inzwischen getan hat und tun wird, ob der Waffenstillstand hält oder ob er wieder gebrochen wird, ob die britische Regierung sich endlich regt oder nicht, eines lasse ich mir nicht ausreden: daß die Menschen auf diesem Bild das einzig Richtige taten, als sie sich öffneten und einen Blick in ihr Herz gestatteten, bis in seine letzte Kammer. Und daß darin nichts zu finden war als diese eine fiinfzigstel Sekunde lang belichtete Wahrheit:»Es muß Schluß, es muß endlich Schluß sein mit der Gewalt! «
    Erst recht aber beharre ich darauf, daß so das letzte Wort in der drama -tischen Geschichte des irischen Konflikts lauten wird, egal, ob ich es selbst noch erleben werde oder nicht.
     
    Etwas jedoch möchte ich noch sagen, etwas, das sich nicht an Nordirland, sondern an die Republik Irland richtet, an ihr Volk und ihre Regierung. Es ist die Bitte, die Artikel2 und 3 der südirischen Verfassung so schnell wie möglich zu streichen - jene Paragraphen, die die Vereinigung Süd- und Nordirlands seit 75 Jahren zu einem staatsrechtlichen Muß festschreiben.
    Ich weiß, auch die Liebe zu Irland und seinen Menschen, und sei sie so ausführlich illustriert wie in diesem Buch, kann einen
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