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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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fugeneng beieinander.
    Ihr Anblick war es, der den englischen Schriftsteller William Thackeray (1811-1863) zu den Worten hinriß: »Bei der Schaffung der Welt aus ihrer Formlosigkeit hat man dieses Stück offenbar vergessen - ein Überbleibsel des Chaos.«
    Gepriesen sei solche Vergeßlichkeit.
    Ganz geheuer ist mir hier oben allerdings nicht, direkt neben dem ungeschützten Absturz der Nordmauer. Wenn ich das sorglose Gebaren so mancher Besucher beobachte, vor allem von Eltern, dann frage ich mich, ob es nicht auch schon Unfälle gegeben hat. Vor allem Kinder turnen unbeaufsichtigt herum, schubsen sich und spielen gefährlich nahe an einem Abgrund, der unbegreiflicherweise kein Geländer hat.
    Ich steige herab und gehe auf den seegeschwärzten Teil des Giant’s Causeway zu, wo die Tide hinlangt, wie jetzt, mit ihrem noch fast unmerklich auflaufenden Wasser. Gischt besprüht die Säulen, besprengt sie, und wenn der Basalt naß wird, glänzt und funkelt das Gestein in der Sonne. Bei Sturm muß es hier branden und schäumen, daß einem Hören und Sehen vergeht. Sogar an einem windarmen Tag wie heute atmet der Nordatlantik an der Antrim-Küste sichtbar ein und aus, klimmt Welle um Welle mit jedem Anlauf höher und höher, schleudert die See ihre Kraft ohrenbetäubend gegen die tangüberwachsenen Säulen, abfließend und wieder anrennend, daß es nur so klatscht, meterhoch über dem Spiegel von eben.
    Ich ziehe mich zurück, auf einen Platz, an dem ich trocken bleibe, und lehne mich mitten im Basaltfeld mit dem Arm auf eine Säule, die die Wärme der Sonne gespeichert hat und sie nun willig an mich abgibt.
    Giant’s Causeway - das ist ein Schauspiel ohnegleichen, ein in seiner gediegenen Mächtigkeit kaum zu überbietendes Naturwunder. Der Sage nach wurde es geschaffen von dem Riesen Finn McCool, einem großen Krieger von Ulster und Anführer der Armee des Königs von Tara. Denn Finn hatte sich, der Legende nach, in eine Riesin auf der Hebrideninsel Staffa verliebt und um dort hinzugelangen, eben diesen Damm erbaut.
    Dies nur eine von den tausend Sagen Irlands, an die ich mich gar nicht erst herangewagt habe, weil sie allein schon ein ganzes Buch füllen könnten.
    So lasse ich mir denn den Seewind ins Gesicht blasen, an einem Tag, wie er herrlicher nicht sein kann.
     
    Hoch über dem Kliff das wunderbare Spiel der Möwen, mal überm Land, mal überm Wasser, dann wieder, wie gegen alle Gesetze der Schwerkraft, auf der Stelle schwebend. Eine von ihnen, größer als die anderen seagulls , ein dunkler, schwerer Punkt, segelt hoch droben über den Atlantik hin, die Flügel wie Tragflächen ausgebreitet, starr, ohne auch nur einen einzigen Schlag zu tun. So, im Auftrieb ewiger Westwinde, von meinen Augen ständig seewärts verfolgt, segelt die Möwe kilometerweit dahin unter hellen Wattewolken, die Flügel immer noch unbewegt und erst weit hinten, über Inishowen, ganz plötzlich vom Himmel verschluckt.
    Und vor mir, zu meinen Füßen, tief da unten, in den Farben Königsblau und Indigo changierend, ein flüssiger Saphir - das Meer.
    Die Küste von Antrim kann einen zum Verstummen bringen.
    Ich bin auf dem Weg nach Carrick-a-rede, genauer, zu jener berühmten Brücke, der Rope Bridge, die dort die kleine Insel mit dem Festland verbindet. Sie soll sich hoch über eine Klippenschlucht spannen, auf deren Grund zu dieser Jahreszeit Fischer Zugang zu reichen Lachsfangen haben.
    Hinter Ballintoy geht es durch ein Gatter auf einen Wiesenpfad, an dessen Anfang das Ziel mit »I km« angegeben und gleichzeitig starkes Schuhwerk empfohlen wird. Der Weg führt einmal hoch hinauf, dann wieder tief hinab, auch über mehrere Treppen, die letzte mit 83 Stufen. Dann liegen sie vor einem, die Insel Carrick-a-rede und die Rope Bridge, eine Hängebrücke von achtzehn Metern Länge über einem Abgrund von fünfundzwanzig Metern Tiefe.
    Bei ihrem Anblick werde ich sofort an jene luftigen Übergänge gemahnt, wie sie mir noch allzugut in Erinnerung geblieben sind aus Südamerika über rauschenden Andenflüssen: zu beiden Seiten als »Geländer« dünne Seile, die lose mit dem eigentlichen Trageseil verbunden sind, und dazu äußerst schmale Bretter als Tretfläche. Auch habe ich nichts vergessen von meinem damaligen Drang, lieber noch die Schluchten diesseits hinab- und gegenüber wieder hinaufzuklettern, als mich solch beunruhigend beweglichen »Brücken« anzuvertrauen, die nicht nur hängen, sondern auch noch schwanken.
    Genau wie hier, im
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