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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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Ausländer wie mich nicht legitimieren, irischen Autoritäten Ratschläge zu erteilen, die sie selbst vielleicht schon bedacht haben. Daß das aber in diesem Fall, bisher jedenfalls, keine Folgen gehabt hat, kann für die Lösung des großen Konflikts nur schädlich sein. Entwerten die zwei Artikel doch alle Zusagen der Republik auf dem Weg dazu wie durch einen immer noch besetzten Hinterhalt.
    Denn wenn in dem 1985 zwischen Dublin und London abgeschlossenen frame work, dem Rahmenvertrag der beiden Regierungen für Verhandlungen über den nordirischen Konflikt und seine friedliche Beilegung, ausdrücklich und mit dem Signum des südirischen Regierungschefs bestimmt worden ist, die Frage: Vereinigung oder nicht? nur von Nordirlands Bevölkerung per Abstimmung beantworten zu lassen - warum dann in der Verfassung der Republik Artikel stehenlassen, die in klarem Widerspruch zu dieser Zusage stehen?
    Mag sein, daß protestantische Hardliner eine südirische Verfassung auch ohne die Artikel 2 und 3 ablehnen, daß ihre Berufung darauf also nur Vorwand ist, eine kompromißlose Gegnerschaft beizubehalten. Aber die Geschichte Irlands ist immer auch die Geschichte von Angst gewesen. Es wird Zeit, daß sie ihr genommen wird.
    Die ersatzlose Streichung der Artikel 2 und 3 aus der Verfassung der Republik könnte dazu zweifellos einen wichtigen Beitrag von gesamtirischer Bedeutung leisten.
    Die Entscheidung, ob ich meine Ansicht darüber ehrlich äußere oder sie ungedruckt ließe, blieb bis zum letzten Augenblick offen. Nun steht sie hier, in der Hoffnung, daß ihre Motive verstanden und auch bei gegensätzlichen Meinungen irische Freundschaften dadurch nicht beschädigt werden.
     

Nordirische Skizzen
     
    Von Portstewart über Portrush und Bushmills zum nördlichsten Punkt der Antrim-Küste. Am Himmel lachende Sonne.
    Bei Causeway Head entsteige ich meinem alten Ford und mache mich auf den Weg zu meinem Ziel, das in 800 Metern Entfernung liegen soll. Die Angabe entpuppt sich zwar als vorsätzliche Irreführung gehmüder Besucher, aber der überwältigende Anblick, der sich einem dann nach mehr als der doppelten Distanz bietet, würde selbst für eine Marathonstrecke entschädigen: Direkt an der See in einer Länge von eineinhalb Kilometern hingestreckt, vor sechzig Millionen Jahren aus dem zischenden Erdinnern rotglühend hervorgequollen, bis zur Flutgrenze dunkelgebeizt, sonst gelb, rot und ockerfarben, ballt sich da unten die längst erkaltete Lava von fast 40 000 Basaltsäulen -Giant’s Causeway!
    Man muß diesen Damm des Riesen, auch Teufelsdamm genannt, gesehen haben, um glauben zu können, was sich dem Auge darbietet: auf einen Blick ein wahrer Ozean von prismatischen Steinköpfen, hier eben und leicht gewellt, da bis zu zwölf Meter hoch getürmt. Und doppelt so hoch gar, zyklopischen Orgelpfeifen gleich, von ungeheuerlicher, feuergeborener Monumentalität, die ehern aufsteilende Nordwand.
    Dazwischen Buschwerk, Blumen und Blümchen, weiße und gelbe, Gräser, Samen, die sich festgekrallt haben - überall das Vergänglich-Ewige zwischen den schartigen Basalttrumms.
    Ich kraxele von der Seeseite her aufwärts bis nahe an den Abgrund, und schaue von dort über das gigantische Säulenfeld auf die rollende Dünung des Atlantik und seinen endlosen Horizont. Links, im Westen, jenseits der Foyle-Mündung, Inishowen Head, County Donegal, schon die Republik; rechts der Leuchtturm von Bull Point auf der Rathlin-Insel.
    Das muß gegurgelt und gefaucht, gegrollt und gedröhnt haben, als die tausend Grad heiße Lava vor undenklichen Zeiten aus Rissen und Schründen hochgedrückt wurde, ehe sie ebenfalls über Äonen hin ihre Hitze verlor, erstarrte und in Formen gerann, die das Staunen der Besucher hervorrufen.
    Die Oberflächen der Stäbe sehen aus wie gezackte Sterne, die meisten von ihnen hexagonal, also sechseckig, doch soll es auch vier-, sieben-, acht- oder gar zehnzackige geben. Auf sie zu stoßen ist zwar nicht ganz so schwer, wie ein vierblättriges Kleeblatt zu finden, aber leicht ist es, wie ich feststellen muß, auch wieder nicht.
    Dabei hat keine einzige Säule die Form einer anderen. Die einen sind von Wind und Wasser nach innen ausgehöhlt, so daß sich Tau und Regen auf ihrer Fläche sammeln, andere ganz flach geblieben, wie maschinell geschliffen, wieder andere sogar nach oben gewölbt. Aber wie phantasiereich auch immer gestaltet, hier liegen Millionen von Tonnen erkalteten Erdinnerns in majestätischem Gedränge
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