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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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bist. Sonst hätte ich irgendeinen fremden Menschen ansprechen müssen, um meine Freude loszuwerden!“
    „Wann fängst du an?“
    „In ein paar Wochen soll ich meine erste Rolle bekommen. Wenn ich in dieser Spielzeit gefalle, werde ich vielleicht fest engagiert für die nächste. Ach, du ahnst nicht, wie sehr ich mich anstrengen werde!“
    Elsas Augen glänzten, und ihr Lächeln war ebenso spielerisch munter wie früher.
    „Wo sind deine Eltern, Elsa?“
    „In England. Papa hat dort Wurzeln geschlagen. Und Mama hat sich auch gut eingelebt. Ich habe sie jeden Sommer besucht. Aber sonst bin ich in Stockholm geblieben, rundherum auf Tournee gefahren und dergleichen. Und jetzt wohne ich bei Tante Charlotte am Birkenweg. Du erinnerst dich doch noch an Tante Charlotte?“ Ich nickte.
    Gewiß erinnerte ich mich an Tante Charlotte, dieses Ideal einer Tante, die uns immer Geld für Kekse und Bonbons gab, die uns die Beerenbüsche plündern ließ, die unsere Sünden den strengen Eltern gegenüber deckte, das heißt Elsas Eltern gegenüber, die übrigens keine Spur streng, sondern ganz normale Eltern waren. Bei Mamilein war es nicht nötig, etwas zu verdecken. Mamilein schalt nie und strafte nie. Soweit Moralpredigten notwendig waren, hielt Johannes sie mir. Er verpaßte mir in besonders ernsten Fällen sogar den notwendigen Hausarrest. Das war übrigens für ihn anstrengender als für mich: Ich hatte immer ein spannendes Buch unter der Matratze und machte es mir in meinem Arrest behaglich; Johannes aber mußte daheim bleiben und aufpassen, daß Mamilein mich nicht herausließ.
    „Erzähle jetzt von dir selbst, Vivi“, ermunterte Elsa. „Was treibst du, und was hast du in all den Jahren getan?“
    Da war nicht viel zu erzählen. Internat, Haushaltsposten in England, Mamileins Hochzeit – und nun Hausarbeit in meinem und Johannes’ Heim.
    Elsa und ich plauderten, bis wir trocken im Hals waren, und schließlich mußte Elsa gehen.
    „Ich rufe dich an, Vivi“, versprach sie, „du mußt mich besuchen. Wir müssen eine Brücke über diese Jahre schlagen und einander wiederfinden, meinst du nicht auch? Und du mußt mir noch viel, viel mehr von dir selber erzählen.“ Ich mußte lächeln.
    „Von mir gibt es nichts zu erzählen, Elsa.“ Elsa sah mich forschend an.
    „Aber ja, das gibt es sicher. Und ich werde es schon aus dir herausholen, Mädchen. Verlaß dich drauf!“
    Bei unserem Plaudern hatte ich die Zeit vergessen. Es reichte gerade noch, daß ich das Mittagessen für meinen pünktlichen Bruder zustande brachte.
    Das fiel auch danach aus, aber Johannes ist nicht wählerisch. Ich hatte das Gefühl, was ich ihm vorsetzte, wäre ganz gleich, Hauptsache, es stände mit dem Glockenschlag auf einem ordentlich gedeckten Tisch.
    „Ich soll dich von Mutter grüßen“, sagte Johannes beim Mittagstisch. „Sie hat im Büro angerufen, denn sie hatte dich daheim nicht erreicht.“
    Wie merkwürdig, wenn Johannes „Mutter“ sagte!
    „Nein, ich war am Vormittag aus. Wie geht es Mamilein denn?“
    „Oh, wie es scheint, ganz großartig. Sie hat uns für Sonntag mittag eingeladen.“
    „Wie nett“, rief ich aus und meinte es auch. Ich hatte Mamilein lieb und nahm sie, wie sie war. Und ich war glücklich über jede Unterbrechung unseres einförmigen Alltags.
    „Was hast du denn heute getan, Vivi?“ Ich erzählte von Elsa und merkte selbst, wie begeistert meine Stimme klang.
    „Ach so“, sagte Johannes. „Ich wußte nicht, daß ihr so gute Freundinnen seid. Übrigens erinnere ich mich an die Kleine mit dem braunen Haar. Sie holte dich doch jeden Morgen zur Schule ab.“
    „Wir waren mächtig gute Freundinnen“, versicherte ich.
    „Aber ihr habt euch doch viele Jahre nicht gesehen?“
    „Ja, ist das nicht sonderbar? Und doch fanden wir uns gleich wieder auf derselben Wellenlänge. So muß es eben bei wahrer Freundschaft sein, siehst du. Wir konnten uns vorher ja auch gar nicht sehen. Elsa war in Schweden und ich in England, du selbst hast mich doch dahin geschickt.“
    „Ja“, sagte Johannes. Er lächelte mir zu. Es war so schrecklich selten, daß Johannes lächelte. Wenn es einmal geschah, wurde mir ganz warm ums Herz. „Das war wirklich nett für dich, Vivi. Du kannst Elsa ja hierher einladen, wenn du willst.“
    „Ja, natürlich“, sagte ich verwundert.
    Hielt Johannes es denn für notwendig, etwas so Selbstverständliches auszusprechen? War es nicht mein Heim genausogut wie seines?
    Oder glaubte Johannes
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