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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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dann war es nicht mehr spannend. Außerdem füllte die Hausarbeit meinen Tag längst nicht aus. Ab und zu kribbelte es mir in den Fingerspitzen, ich war zu allem möglichen aufgelegt, gleichgültig, was es sein mochte – ich wünschte nur, irgend etwas möchte geschehen.
    Aber es geschah nichts Aufregendes. Einmal rief eine meiner alten Schulkameradinnen an. Sie wollte versuchen, die alteClique wieder zusammenzutrommeln. Ob ich mittäte?
    Natürlich sagte ich begeistert zu. Von da ab trafen wir uns einmal wöchentlich. Es war nett, wieder mit den alten Freundinnen zusammen zu sein. Alle hatten viel zu erzählen, von der Schule, von Festen, von Freunden, ich kam mir dagegen als Hausmütterchen recht spießig vor.
    Ab und zu ging ich ins Kino. Ein paarmal kam eine Freundin zu einer Tasse Tee zu mir – das war alles.
    Das war eben nicht genug für mich. Der Kontrast zu früher war zu groß. Wohl hatte Mamilein immer Schlamperei und Unregelmäßigkeit mit sich gebracht, aber gleichzeitig auch Leben, Lustigkeit und Überraschung. Das vermißte ich.
    Johannes dagegen schien sich wohl zu fühlen wie ein Fisch im Wasser. Zu Hause war es für ihn am schönsten. Er liebte seine regelmäßigen Mahlzeiten, seinen guten Lehnstuhl, seine Pfeife und sein Briefmarkenalbum.
    Ich sah nicht, daß mein guter, prächtiger Bruder drauf und dran war, alt zu werden, ohne jemals jung gewesen zu sein. Egoist, der ich war!
    Es war die Haushaltsabrechnung, die unseren ersten ernsteren Zusammenstoß verursachte.
    Ich bekam am Ersten und Fünfzehnten jedes Monats Haushaltsgeld. Außerdem gab mir mein Bruder eine nicht zu knapp bemessene Summe zu meinem persönlichen Gebrauch. Und Johannes bezahlte die Miete, die Stromrechnung, Telefon und Versicherungen. Alles war ausgezeichnet für mich geordnet. Aber am Zwölften des Monats war ich blank. Unbekümmert bat ich Johannes um mehr Geld.
    „Nanu“, sagte Johannes, „du hast alles aufgebraucht? Hast du Extraausgaben gehabt?“
    „Der Himmel weiß, wo das Geld hingekommen ist“, sagte ich. „Jedenfalls ist es weg, und du mußt schon ein bißchen mehr ausspucken.“
    Johannes verzog das Gesicht. Schnoddrige Redeweise war ihm zuwider.
    „Laß mich erst dein Haushaltsbuch sehen, Vivi.“ Ein Haushaltsbuch? Au, das war schlimm! Ich hatte wohl einiges in ein Buch geschmiert, aber es gehörte schon etwas dazu, diese Kritzelei und das System zu verstehen – besonders das System, denn das war äußerst sprunghaft.
    Johannes studierte meine Notizen mit gerunzelten Brauen. Langsam kroch ein unangenehmes Gefühl in mir hoch. Ich kam mir vor wie ein unartiges kleines Mädchen, das von einem gestrengen und altmodischen Vater zur Rechenschaft gezogen wird.
    Schließlich wurde ich wütend.
    „Ich bitte dich, Johannes, vergeude doch nicht die Zeit mit diesem Kram! Willst du oder kannst du mir nicht mehr Geld geben, so kann ich die drei Tage bis zum Fünfzehnten auf Kredit kaufen.“
    „Kommt gar nicht in Frage“, sagte Johannes. „Niemals auch nur einen Pfennig Schulden, hörst du, Vivi? Sieh mal her – du sollst schon noch Geld bekommen, aber du mußt lernen, darüber Buch zu führen. Hier hast du die Ausgaben für die erste Woche aufgeschrieben, aber du hast vergessen…“
    „Johannes, das halte ich nicht aus“, unterbrach ich ihn. „Ich kann diesen Schulmeisterton nicht ausstehen. Ich bin nicht mehr zehn Jahre! Und du sollst kein Wort weiter von mir über das Geld hören; ich werde schon zurechtkommen!“
    „Vivi, es ist doch nicht meinetwegen, daß ich möchte, du sollst richtig anschreiben.“
    „Nein, das sagen die Eltern auch, wenn sie ihre Sprößlinge mit etwas Langweiligem plagen. ,Es ist zu deinem eigenen Besten, Liebes’, heißt es nicht so? Das ist lächerlich, Johannes, und du brauchst mir das Dasein wirklich nicht noch langweiliger zu machen, als es ohnedies schon ist.“
    Johannes blickte mich lange und ernst an.
    „Ist dein Dasein langweilig, Vivi?“
    „Ja, findest du es vielleicht amüsant? Es passiert ja rein gar nichts. Ab und zu möchte ich beinahe wünschen, Mamilein würde plötzlich mit einer Schar unbekannter Leute auftauchen, und die Küche sähe am Morgen wie ein Schlachtfeld aus. Bloß mal etwas anderes als die ewige Ordnung hier.“
    Johannes stand plötzlich auf, ging zum Fenster, wendete sich um, kam zu mir zurück, sah aus, als ob er etwas sagen wolle, besann sich aber dann anders. Seine Schritte wurden langsamer. Er blieb stehen und zog seine Brieftasche
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