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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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Gesicht.
    „Du kleines Mamilein“, sagte er und strich ihr mit der Rückseite seiner Hand über die Wange, leicht und vorsichtig, als berühre er ein zerbrechliches kleines Glastierchen.
    Da lehnte sich Mamilein an seine Brust, und er strich ihr über die Locken.
    Ich verstand erst später, was Johannes in diesem Augenblick fühlte: eine unendliche Erleichterung, daß zwölf Jahre Verantwortung und Kümmernisse überstanden waren, und gleichzeitig eine merkwürdige Zärtlichkeit, eine Mischung von kindlicher und väterlicher Zärtlichkeit, für die charmante Ursache dieser Kümmernisse.
    Dann ordnete Johannes alles, was geordnet werden mußte, in einem ruhigen und vernünftigen Gespräch mit dem Großkaufmann Bergum, den wir von diesem Tage an Alfred nennen sollten.
    Auf Mamileins ausdrücklichen Wunsch waren Johannes und ich bei der Trauung auf dem Standesamt zugegen, beim Hochzeitsschmaus hinterher natürlich auch. Die Braut sah in ihrem neuen, eleganten Kostüm und dem Nerzkollier aus, als ob sie nicht einen Tag älter als dreißig wäre.
    Dann begleiteten wir die Neuvermählten zum Flughafen und wanderten zurück in unsere eigene Wohnung, sehr schweigsam, jeder hing seinen Gedanken nach.
    Als Johannes aufschloß, sah er einen Augenblick auf das neue Türschild: „J. Kruse, Bürochef“.
    Es hatte „Ulla Fenger“ abgelöst. Ich heiße Fenger, und so hatte auch Mamilein bisher geheißen.
    Dann waren wir allein in unserem eigenen Heim.
    Besonders einladend war es im Augenblick in unserer Wohnung nicht. In der Küche stand der Aufwasch von zwei Tagen. Mamileins Schlafzimmer zeigte deutlich, wie sie gepackt hatte: ohne System und unpraktisch wie immer. Überall lagen Kleidungsstücke und Kleinigkeiten, die sie im letzten Augenblick zurückgelassen hatte. Das Bett war nicht gemacht. Auf dem Nachttisch stand ein Strauß halbverwelkter Blumen neben Mamileins reizendem kleinen Reisewecker, den sie vor langer Zeit bekommen hatte – von irgendeinem großen, starken Mann, den ich Onkel genannt hatte.
    Johannes sah sich einen Augenblick das Durcheinander an. Dann holte er einen leeren Koffer.
    „Komm und hilf mir, Vivi, wir schaffen hier ein wenig Ordnung.“
    Mamileins Hinterlassenschaft wurde hübsch ordentlich in den Koffer gepackt und von Johannes auf den Boden gebracht.
    „So“, sagte ich, „hole nun deine Sachen, dann werde ich hier für dich alles zurechtmachen.“
    „Für mich?“ sagte Johannes. „Nein, du sollst dieses Zimmer haben, Vivi, ich ziehe in deins.“
    „Johannes“, sagte ich und sah ihn streng an, „du hast dein Leben lang auf dem Diwan im Eßzimmer geschlafen. Jetzt wird es Zeit, daß du endlich ein ordentliches Schlafzimmer bekommst. Ich habe mich so an meins gewöhnt.“
    Seit ich zehn Jahre alt war, hatte ich das Mädchenzimmer gehabt.
    Johannes stand in der Tür und betrachtete das verlassene Schlafzimmer, dieses Zimmer mit dem Duft und der Atmosphäre von Frau, von Weib.
    „Nein“, sagte er, „ich will dein Zimmer haben, Vivi. Tu, wie ich gesagt habe!“
    Er hatte um den Mund einen kleinen Zug, der mich zum Schweigen und Gehorchen brachte.
    „Und jetzt waschen wir auf“, sagte Johannes. Seine Stimme klang sehr bestimmt. „Mein Lieber, das kann doch ich…“
    „Ja, von morgen ab“, sagte Johannes, „aber dieses erste Aufräumen erledigen wir zusammen.“
    Ich spülte, und Johannes trocknete ab. Dann räumte er, ordnete und rückte zurecht, bis alles in schönster Ordnung war, in der Küche so gut wie in den Zimmern. So hatte es schon lange nicht mehr bei uns ausgesehen.
    Als wir uns beim Abendessen gegenübersaßen – ich auf Mamileins Platz –, lächelte Johannes mich an. Er kann so schön lächeln, schade – dachte ich –, daß er es so selten tut! „Das war es dann, Vivi“, sagte er – sonst nichts. Von diesem Abend an schlief Johannes in meinem nüchternen kleinen Mädchenzimmer, in meinem schmalen, weißen Bett.
    Und ich fühlte mich in Mamileins riesengroßem Rokokobett wie eine Prinzessin. Plötzlich überlegte ich, daß ich morgens zeitig aufstehen und Frühstück für Johannes machen mußte. Ich streckte die Arme aus der Daunendecke und stellte den feinen kleinen, vergoldeten Reisewecker.
    Der tickte so weich und leise… tickte mich in den Schlaf.

Mein Bruder und ich
     
     
    Als ich damals anfing, Johannes den Haushalt zu führen, habe ich mich oft unbeschreiblich dumm angestellt. Heute noch tut es mir in der Seele weh, wenn ich bloß dran denke.
    Es hat
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